Wir schreiben den 17. Juli 2015. Es ist 4:55 Uhr morgens. Ich bin gerade aufgewacht. Draußen stürmt es. Starker Regen fällt, sodass ich das kleine Fenster über meinem Bett schließen musste. Selbst als es nur einen Spalt breit offen war, tropfte unablässig Wasser auf mein Bett. Kurz hatte ich überlegt nochmal ein bißchen weiter zu schlafen, aber es sind noch 3,5 Stunden, bis mein Boot losfährt und da ich keinen Wecker habe, bleibe ich lieber wach. Mein Boot, dass mein letzter Lift auf dem südamerikanischen Kontinent sein wird.
Ich bin in Turbo, einer dreckigen Hafenstadt in Nordkolumbien. Letzter Punkt, bevor es in die entlegenen Dörfer nahe der Grenzregion geht. Letzter Hafen mit Straßenanbindung, danach folgt nur noch Jungle und kleine Dörfer im Nirgendwo. Gestern habe ich mich von meinem Fahrrad getrennt, mit welchem ich von Bogota knapp 800km hierher gefahren bin. Ich konnte es zum Einkaufspreis verkaufen, nach langem suchen. Allerdings hab ich für die ganzen Modifikationen kein Geld bekommen. Letztendlich war ich aber zufrieden mit dem Deal. Und ein Kolumbianer konnte sich glücklich schätzen. Außerdem hatte ich eine komplette Fahrraduniform von Kolbmbien, von den Socken bis zum Kopftuch. Das habe ich gegen einen Lift in dem besagten Boot eingetauscht. Erfolgreicher Handelstag.
Das Boot ist eine sogenannte Lancha. Kleine Schnellboote mit Outborder-Motoren, wie ich sie schon von Trinidad nach Venezuela hatte. Es wird mich nach Carpurgana bringen, der vorletzten Ortschaft entlang der Küste Richtung Panama. Dort gibt es keine Autos, weil keine Straßen, dafür aber KAribikfeeling und Strände. Nach Monaten des Trampens durch Südamerika, freue ich mich sogar ein wenig darauf. Von da kann man ca. 2 Stunden über kleine Pfade durch den Dschungel laufen, um zu „Grenze“ zu kommen.
Die Grenze zwischen Kolumbien und Panama ist etwas sonderbar, wie mir ein Franzose gestern versucht hat zu erklären. Keine Kommunikation. Keine gemeinsame Grenze. Es ist, so sagte er, wie die Grenze zwischen Brasilien und Marokko. Sie existiert quasi nicht. Ich für meinen Fall muss mir meinen Ausreisestempel in Carpurgana holen und kann dann nach 2 Stunden Fußmarsch panamanisches Staatsgebiet in Armila betreten. Dort ist aber nur ein kleiner (hübscher) Strand. Bis zur Immigration von Panama werden es nochmal 3-4 Stunden Fußmarsch sein (ich sehe gerade, google gibt diese Distanz auf 2km Luftlinie an. Das wird anscheinend ein anspruchsvoller Fußmarsch).
In dieser Grauzone darf ich mich insgesamt 72 Stunden aufhalten, bevor ich in Panama „einchecken“ muss. Vielleicht laufe ich, vielleicht frag ich die allgegenwärtigen Militärs, ob sie mir den Lift nach Puerto Obladia geben. Das ist die letzte Ortschaft auf meinem kleinen Küstenstreifen. Von da kann man mit Kleinflugzeugen nach Panama City fliegen (Komftortlösung), mit Lanchas weiter an der Küsten entlang fahren oder in Hardcore-Manier in den tiefen Dschungel gehen. Es wird kompliziert, aber ich habe mir sagen lassen, dass ich auf panamischer Seite mit den Cargo Booten mitfahren darf und es nicht so viele Probleme mit Kontrollen gibt, wie in Kolumbien.
Ansonsten liegt dort noch das Darien Gap. Und je näher ich ihm komme, desto mehr fasziniert es mich. Das berühmte Darien Gap. Die fehlende Verbindung zwischen Nord- und Südamerika. Der einzige Punkt ohne Straße, sei es nun aus politischen, geographischen oder sonstigen Gründen. Es ist einer der dichtesten Dschungel auf der Erde, vollgestopft mit Schlangen, Pumas und allerlei kleiner giftiger Freunde.
Im Dschungel gibt es mehrere Dörfer, es existiert ein dichtes Netz von Wegen, was aber wohl nur von den lokalen Ureinwohnern verstanden wird. Auf diesen Wegen kreuzt allerleit Verkehr, wie ich gelesen habe. Neben den Leuten die dort Leben findet sich das Militär, die Guerilla, illegale Einwanderer die Richtung Norden laufen und natürlich die Drogen-Kuriere. Letztere sind wohl das wirtschaftliche Standbein der Region. Besonders Menschen aus Panama laufen die Route von Norden und machen gutes Geld. Aber auch die Ureinwohner sollen wohl ihr Wissen über das Terrain nutzen und sich als Postbooten anbieten. Prinzipiell geht es aber wohl um Business. Das deckt sich auch mit der Erzählung von einer Gruppe Afrikaner die sich von einem Guide nach Norden haben Schmuggeln lassen. Der Guide und seine Komplizen haben den illegalen Einwanderern alles abgenommen, was sie hatten, sie aber trotzdem (mit Nichts) auf die panamische Seite gebracht.
Was für den Ruf des Darien Gaps wohl ziemlich schlecht war, könnten die zahllosen Entführungen durch die FARC vor 10-20 Jahren gewesen sein. Die FARC, die Rebellengruppe im kolumbianischen Norden, welche sich mehr oder weniger auf Entführungen spezialisiert hatte. Das ist aber Schnee von gestern. Heute passiert sowas nicht mehr und die wenigen Konflikte hier werden meist zwischen Beteiligten ausgetragen. Aktuell werden eher Tanker versenkt oder Ölpipelines attackiert. Die FARC versucht Infrastruktur kaputt zu machen und die Umwelt zu verseuchen. Auch nett.
Hinter mir liegen 6 Monate Südamerika. In den letzten sechs Monaten habe ich
- den gesamten Kontinent zweimal auf der Vertikalachse durchtrampt
- die Anfänge des venezuelanischen Untergangs miterlebt (Wechselkurs von ehemals super billigen 1:75 auf 1:150 und mitlerweile auf 1:420. In einem halben Jahr wird das Land bankrott sein. Amerikanischer Handelskrieg erfolgreich abgeschlossen.)
- bin meine längste Distanz getrampt, mit über 8000km durch Brasilien Richtung Uruguay (in 12 Tagen, Bämeräng!)
- war zwei Monate in Uruguay bei meinem Freund Ralf. Dort war ich auf einer Hochzeit, wir haben einen Güterzug getrampt und Grillabende gemacht, die mir anschließende Alptraumnächte beschert hatten, weil es ausschließlich Fleisch gab
- habe das sündige Leben von Buenos Aires in vollen Zügen (was für eine Stadt)
- bin ans Ende der Welt gefahren (Ushuaia)
- einmal fast in Bolivien ausgeraubt worden
- in Medellin beklaut worden (aber hey, ich lag schlafend und betrunken irgendwo in der Stadt und war auf dem Heimweg „hängengeblieben“ [hab nur ne Runde im Straßengraben „geNilst“ HAHA] Kann dem Langfinger das nicht verübeln. )
- bin 800km mit dem Fahrrad durch Kolumbien gefahren
- hab die atemberaubenden Salzwüsten in Bolivien erkundet
- habe das noch wunderbare bolivianische Hinterland durchtrampt und hier meine liebsten Orte und Menschen gefunden (insbesondere Aris, der betrunkene Polizist mit seinem Motorrad)
- eine Menge Straßenfood gegessen
- ein aufblasbares Kofpkissen gefunden
- bin auf einen 40m hohen Antennenmast geklettert
- habe Freundschaft mit einer Gruppe Hooligans in Buenos Aires geschlossen
- hab mich im Glücksrausch über die argentinischen Autobahnen tragen lassen
- wurde von alten, schwulen Männern angegraben (business as usual)
- habe meinen ersten Bagger und Krankenwagen getrampt
- das Erste mal gekokst (hey, kriegt man hier überall unter die Nase gerieben, ist aber nicht so spannend)
- Lima zur Rush-Hour durchfahren….und überlebt
- habe Machu Pichu erfolgreich „nicht besucht“ und einen Güterzug in Peru unerfolgreich nicht getrampt
- bin in meine nächste Lebenskrise verfallen, als ich festgestellt habe, dass die Weltbevölkerung sich seit 1950 verdreifacht hat (!)
- konnte mehrere Gegenstände billig einkaufen und erfolgreich unter Wert wieder verkaufen (wer brauch schon Sprache zum Handeln?)
- hab „Mas o Menos“-Spanisch gelernt
- hab einen langen Bart bekommen
- und eine Geschichte Erschaffen, die ebenfalls schon einen recht langen Bart hat
Danke Südamerika, hat Spaß gemacht! Ich muss auch mal packen, mein Boot fährt bald. Das Fenster ist auch wieder offen. Der Regen hat aufgehört und ein wunderbarer Tag beginnt.
Zentralamerika ick komme dir! Hurz!
Der halbe Titel wurde geklaut bei einer anderen Bloggerin Namens Nina, die einen ganz wunderbaren Artikel über Reisen und Glück geschrieben hat. Hab ihn zufällig gefunden. Lesenswert. Danke für den Titel und Sorry! fürs kopieren. Aber in Asien gilt dies ja als Respektsbekundung.