Chinesischer Mauerfall

Chinesischer Mauerfall

Mein Plan war die chinesische Mauer zu besuchen. Am Ende führte dies zu meiner halbjährlichen Nahtoderfahrung. Insgesamt wohl das Dritte mal auf meinem Trip. Es ist gestern passiert und ich bin immernoch ziemlich müde. Sitze gerade in einer Raststätte mitten in China und möchte diese Geschichte erzählen, solange ich noch so affektiert bin. Hinter mir stehen übrigens drei Chinesinnen, Raststättenpersonal, schauen mir interessiert über die Schulter, strecken vorsichtig ihre Arme an mir vorbei und öffnen gerade mit ihren Langfingern mein Notizbuch.

Wir erreichten dieses kleine Bergdorf. Mein Fahrer hatte die Augenbraunen hochgezogen, als er erfahren hat, wo genau dieser Ort ist. Aber da hatte schon gesagt, dass er mich auf jedenfall dort hochfahren würde und nun gab es kein zurück mehr. Nun angekommen, musste ich aussteigen. Es gab eine Schranke, die die Weiterfahrt blockiert. Daneben ein kleines Haus, wo man Tickets kaufen musste. Umgerechnet 4€ Eintritt. Ich bin einfach durchgelaufen. Interessierte auch niemanden. Und ich hatte sowieso nicht vor, Eintritt zu bezahlen.

Es war ein sehr schönes chinesisches Bergdorf. Bewohnt von Bauern, die nebenbei etwas mit Zimmervermietung hinzu verdienen. Touristen hab ich jedoch keine gesehen. Mein erstes Ziel war duschen. Wenn man tagelang auf der Straße ist, dann kann es schwer sein, eine Dusche zu finden. Ich fand eines dieser „Hotels“ und fragte, ob ich duschen kann. Die nette Frau genehmigte es. Wollte noch nicht mal Geld. Sehr nett.

Es war ein sehr schöner Sommerabend, blauer Himmel, ich war frisch gemacht und bereit für die zwei Stunden Aufstieg zur chinesischen Mauer, die ich schon am Bergrücken sehen konnte. Es war 16:00 Uhr und ich sollte es zum Sonnenuntergang schaffen, wenn ich mich ran halte. Am Dorfende saß noch ein Opa im Feld, den ich nach dem Weg fragte. Er war der letzte Mensch, den für einige Zeit treffen sollte. Ich steuerte einen wilden und verfallenen Teil der chinesischen Mauer an. Es gab mehrere Pfade vom Dorf aus. Neben jedem Pfad stand ein großes Schild, was darauf hinwies, dass dieser Teil der Mauer für Touristen gesperrt sei. Das war wahrscheinlich der Grund, weshalb ich keine anderen Wanderer im Dorf antraf. Ich hab mir aber nichts dabei gedacht und bin munter drauf los gestiefelt.

Der Weg war recht schwer zu finden. Der Opa meinte nur, dass ich den Pfeilen folgen soll. Aber es gab nur zwei Pfeile, ganz am Anfang. Danach gabelte sich der Weg mehrmals. Die ersten 10 Minuten lief ich in die falsche Richtung und musste umdrehen. Es war angenehm warm und ein Schwarm Insekten schwirrte um meinen Kopf, was meinen Gang etwas beschleunigte. Da war eine richtige Party um meinen Kopf herum. Immer wieder versuchte ich sie mit der Hand oder meiner Kappe zu verscheuchen. Erfolglos.

Ich fand einen anderen Pfad, der steil bergauf ging. Wenn ich die Wahl habe, dann nehme ich immer den steilen Pfad. Ist schließlich kürzer. Diesem folgte ich. Er führte in den Wald. Irgendwann wurde der Untergrund etwas komisch. Blätter. Mehr Blätter. Knöcheltiefes Laub. Aber ich sah Müll, daher sollte das die richtige Richtung sein. Ich hatte ja keine Ahnung, wo ich lang musste, aber bergauf konnte nicht verkehrt sein. Es ging nun immer steiler nach oben. Irgendwann wurde mir klar, dass ich wohl dem Lauf eines Flusses folgte.

Ich war zu faul zum umdrehen. Der Pfad war schon lange hinter mir. Nun war ich im offenen Gelände. Aber ich ging weiter. Immer weiter rauf. Es wurde steiler und steiler. Ich hatte meinen 12kg Rucksack und eine Tascher voller Essen in der Hand. Der Aufstieg forderte meine ganze Kraft. Immer wieder musste ich mich an Bäumen hochziehen. Viele brachen ab, als ich sie ergriff. Schwerstarbeit. Mehr Klettern als laufen. Es war wieder einer der Momente, in denen es sich auszahlte, dass ich so viel boulderte, bevor ich Deutschland verlassen hab. Das Terrain war längst nicht mehr normal zu begehen. Ich hangelte mich nach oben, von Baum zu Baum. Einfach direkt Richtung Spitze. Der Plan war so einfach.

Es gab zwischendurch Momente, wo ich mich umdrehte und mir klar wurde, wie steil dieser ganze Abhang war. Es müssen 80-85° gewesen sein. Beim runter schauen wurde mir etwas mulmig. Das Problem beim Klettern ist, dass man leichter hoch als runter kommt. Daher war es für mich auch keine Option abzusteigen, weil das gefährlich sein würde. Also weiter hoch. Ich konnte schon die Sonne in den Bäumen sehen. Ein sicheres Zeichen, dass ich mich der Spitze nähere. Manchmal kam ich mit meinem Rucksack nur schwer durch, musste mich um Bäume herum winden, oder unter Ästen hindurch kriechen. Mich wieder hochziehen, einen festen Stand finden und die nächsten Schritte überlegen. Wo halte ich mich fest? Wo stell ich den Fuß hin? Welchen Baum kann ich als nächstes Erreichen? Langsam und kontrolliert kletterte ich.

Ich war schon ziemlich weit oben, als sich vor mir schließlich eine Felswand auftat. Aus Bäumen wurden Sträucher. Aus Steigung wurde Überhang. Es war umöglich, mit meinem Rucksack und ohne Kletterausrüstung hier hoch zu kommen. Ich war schon an der Wand, tastete auch die ersten Steine und entschied mich dann, nicht weiter nach oben zu gehen. Aber: Ich war schon ungefähr 45 Minuten geklettert und dementsprechend tat sich hinter mir der Abhang auf. Was also tun? Ich observierte die Umgebung.

Rechts von mir, sah es so aus, als ob die Felswand nicht ganz so steil sei. Vielleicht würde ich hier einen Weg finden, um nach oben zu kommen. Dazwischen war ein ca. 3m langer Übergang, die steilste Stelle, ohne Bäume zum festhalten. Hier stürzte sich wohl der Bach nach unten, wenn er denn Wasser führte. Ich musste mindestens zwei, wahrscheinlich drei Zwischenschritte machen, um den nächsten Haltepunkt zu erreichen. Ich musste also frei am Abhang stehen, ohne mich irgendwo festhalten zu können, um da rüber zu kommen. Schwierige Mission.

Ich schaute nochmal zurück. Es ging so steil runter, dass ich mir nur schwer vorstellen konnte, abzusteigen. Der Boden war erdig, wenn ich meine Füße nur tief genug eingrabe, sollte ich halt finden, um auf die andere Seite zu kommen. Erster Schritt. Noch hatte ich die Hand am Baum. Erde bröckelte. Irgendwie fand ich halt. Fuß stand stabil. Zweiter Schritt, ich hielt mich immernoch am Baum. Fuß eins stand immernoch eingegraben in der Erde. Nun war es Zeit loszulassen und frei zu stehen. Ein Sprung und ich sollte meine Hand am nächsten Baum haben. So trat ich ins „Freie“.

Mein Sicherungsfuß verlor sofort halt und ich stürzte nach unten. Danach weiß ich nicht mehr so genau, was passiert ist. Ich beschleunigte ziemlich schnell. Ich versuchte mich so gut es geht an den Hang zu pressen, anfangs rutschte ich noch. Irgendwann überschlug ich mich. Ich fiel ca. 10m nach unten. Und das war erst der Anfang eines langen, langen Abhanges. Wie durch ein Wunder bremste ein Baum meinen Sturz, auf den ich mit meiner Brust aufprallte. Die Wucht war so stark, dass es mir die Luft aus der Lunge presste. Im Moment des Aufpralls flog meine Brille von der Nase und verschwand im Abhang, überschüttet von Geröll und Erde auf dem Weg nach unten.

Ich konnte mich mit einer Hand festhalten, hatte immernoch meinen Rucksack auf dem Rücken und meine Essenstüte in der anderen Hand. Irgendwie hing ich da am Abhang. Aber es war noch nicht vorbei. Unter mir ging es noch mindestens 20-30m weiter. Vielleicht mehr. Und dort waren keine Bäume mehr zu sehen. Freier Fall. Ungebremst. Ich konnte mich nicht hochziehen, weil meine Essenstüte irgendwie zwischen mir und Baum fest steckte. Ich überlegte sie fallen zu lassen. Aber es war schwer vorstellbar, dass ich da nochmal rankomme. Und all meinen Proviant wollte ich nicht aufgeben. Ziehen, stützen, um den Baum herum schwingen. Irgendwie schaffe ich es, mich zu stabilisieren. Schließlich hab ich mich hinter den Baum geklemmt und saß am Abhang.

Ich stand etwas unter Schock. Hab mich kurz ausgeruht. Erstmal ne Sprachnachricht verschickt, weil ich Empfang hatte. Bin dann, anstatt nach unten, seitwärts am Hang entlang gehangelt, um in weniger steiles Terrain zu kommen. Ich wollte eigentlich nur noch runter ins Dorf zurück. Genug von dem Scheiß. Naja und dann hab ich zufälligerweise einen Pfad entdeckt. Den richtigen Pfad. Gekennzeichnet mit Plastikflaschen, die über Bäume gestülpt waren. Schock hin oder her, ich war fast oben und wieso sollte ich mir das jetzt entgehen lassen? Also wieder weiter klettern. Der Pfad war nicht weniger gefährlich, als das Stück was hinter mir lag. Ich verlor auch immer wieder die Orientierung. Erst später sollte ich herausfinden, dass dies nur ein Seitenpfad war, mit Kletteranteilen, teilweise direkt am Abgrund. Genauso anstrengend und verwirrend wie einfach durch den Wald zu klettern. Nach 15 Minuten traf ich auf einen einigermaßen gut befestigten Weg. Hier konnte man „normal“ laufen, ohne sich steile Steigungen hochziehen zu müssen. Ich erreichte die Mauer noch vor Sonnenuntergang.

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Nochmal Glück gehabt. Ein verstauchter Finger, Bluterguß, Brille verloren und total verdreckter Anzug. Mein linker Fuß ist etwas taub, was wohl vom Solar Plexus kommt. Damit kann ich Leben. Meine Brille hatte ich bereits zweimal verloren/zerstört auf dieser Reise. Bei meinem Autounfall und bei einem Absturz mit einem Paraglyder. Die halbjährliche Nahtoderfahrung. Hoffe das war die letzte dieser Art für meine Reise.

Die Mauer erreichte ich dennoch . Ich kam zufällig an den Wachturm raus, der den wohl berühmtesten Blick auf das Weltkulturerbe eröffnete. Ich schaute mir den Sonnenuntergang an, machte ein Lagerfeuer auf der Mauer und schlief dort oben. Keine Menschenseele um mich herum, nur der Uhu sang beizeiten. Nach dem Sturz war ich allerdings dermaßen unruhig, dass ich diese Nacht nicht gut geschlafen habe. Ganz alleine auf dieser mittelalterlichen Steinkonstrukion. Hatte leichte Angstzustände. Um 04:30 Uhr hab ich zusammengepackt, um mir den Sonnenaufgang reinzuziehen.

Anschließend bin ich drei Stunden über die Mauer gewandert. In der Morgensonne. Es war wunderbar ruhig und friedlich. Ich wanderte runter ins Tal. Erst ging es durch die wilden und zerfallenen Teile der Mauer.Irgendwann kam ich an einem „Betreten verboten“-Schild vorbei und erreichte schließlich den restaurierten, touristischen Teil der Mauer. Alleine. Da war niemand. Den ganzen Morgen nicht. Die Mauer war komplett leer. Sowas kriegt normalerweise nur der Präsident der Vereinigten Staaten zu Gesicht, wenn die Mauer für ihn gesperrt wird. Ich hab es umsonst bekommen. War ein schöner Spaziergang. Und ich war froh, dass ich diesen noch erleben durfte. Zum Ende ein paar Impressionen:

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4 Comments

  • Stephan mein Lieber…da stockt einem ja beim Lesen mal wieder der Atem. Du bist aber auch ein dangerseeker. Soll ich Dir für Kletter- und Wanderaktionen mal ein paar Eintageskontaktlinsen schicken…kommt billiger 😉 Die Bilder die Du gemacht hast sind natürlich großartig und den Aufwand und die Gefahr fast schon wieder wert…und wer hat schon auf der Chinesischen Mauer übernachtet…
    pass auf Dich auf und ganz liebe Grüße
    Alex

    • Ja, weiß auch nicht, wieso mir immer wieder solche gefährlichen Sachen passieren. 🙂 Mit meinem Brillenverschleiß muss ich dann wohl leben. Die neue ist aber schicker als die alte. Traditioneller Sovjet-Opa-Stil. Mag ich sehr. Rein optisch hat sich das daher auch gewissermaßen gelohnt!

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