Operation Nachtzug. Catching out to California. Diesmal war ich besser ausgerüstet. Neben der Schachtel Zigaretten und einer Gallone Wasser hatte ich drei Deluxe-Bagel, einen Apfel und zwei Bananen dabei. Außerdem ein großes Stück Pappkarton („5000 miles paper“) und den Crew Change Guide. Mein zweiter Trainhop sollte anstehen. Ich folgte der Beschreibung im Guide, schlich mich auf das Union Pacific Gelände und fand mich alsbald im Hobo-Jungle wieder. Ein Gebüsch nahe den Tracks und Müll. Wie ich später herausfinden sollte, lebten in dem Gebüsch mindestens zwei Menschen in Zelten. Alles war verseucht mit Mücken, selbst im trockenen Utah. Ich machte es mir zwischen dem Müll gemütlich und wartete auf meinen Zug. Fühlte mich sicher in meinem Versteck.
Als ich da so im Busch liege, fährt dieser orangefarbene Pick-Up zweimal an mir vorbei. Beim Dritten mal zieht er vor meinem Gebüsch links rüber und ein Mann steigt aus. Starrt mich an. Nicht sicher ob er mich wirklich gesehen hat. Aber er starrte sehr lange in meine Richtung. Das war er also, der Bull (Railway Police, keine richtigen Polizisten, eher Sicherheitskräfte). Schon viel habe ich über den Bull gehört, über seine Faulheit, seine fehlende Bildung, seinen Übereifer, wenn er mal einen Trainhopper findet und wie man ihn am Besten vermeidet. In diesem Fall blieb ich wie festgefroren liegen. Auch er schien sich nicht zu bewegen. Minuten vergingen. Irgendwann steigt er wieder in sein Auto und fährt davon.
Scheiße, der Bull hat mich entdeckt. Vielleicht…aber niemand kann mich belangen, weil ich im Gebüsch rumliege. Es wird ungleich schwieriger auf einen Zug zu kommen, wenn Leute im Yard bescheid wissen. Ich zog mich tiefer in den Müll zurück, fand eine kleine Wiese. Machte es mir dort abermals gemütlich und tötete Mücken, die mich unablässig belagerten. Stundenlang. Warten auf den Zug. Ich fand lustige Hobo-Grafittis um mich herum: „Ain´t no wrong train.“ oder „And you think you gonna catch out tonite?“. Ja das denke ich. Ich war also am richtigen Platz.
Es dauerte einige Zeit, da kam der erste Zug, aber der Bull war zur gleichen Zeit auf der Piste, fuhr mit seinem orangefarbenen Pick-Up auf und ab. Der Zug hielt auch nicht an. Keine Chance den Zug „on the run“ (wenn man auf einen sich bewegenden Zug aufspringt) zu catchen. Ich breitete also meinen wunderbaren Pappkarton aus und versuchten neben den Mückenschwärmen ein bißchen zu schlafen. Außerdem war ich ziemlich begeistert von dem Pappkarton. Er hielt wirklich warm von unten, war super praktisch, umsonst und ich hatte schon Gedankenspiele, meine Isomatte gegen guten Pappkarton einzutauschen. Den Pappkarton kann man dreckig machen und irgendwie hat das Stil. Landstreicher-Style.
Die Nacht brach an. Ich traute mich irgendwann aus dem Gebüsch heraus und schlich am Yard entlang. Völligst schwarz gekleidet, noch angeschlagen von einer 40 km Wanderung zwei Tage zuvor humpelte ich umher und versuchte den Crew Change Punkt zu finden. Wo hält der Zug? Ich war erfolglos und legte mich anschließend wahllos in irgendeinen Gebüschabhang. Hatte ja meinen Pappkarton, der machte mir überall ein neues zu Hause. Es kann so einfach sein, das Leben. Die Nacht war trotzdem schrecklich. Es kamen ca. vier verschiedene Züge. Einmal Junk (regionaler Low-Prior Zug), ein kurzer IM (Intermodal Trains mit double stack wagons) und zwei normale Peddlars. Nichts hielt an. Nichts zum aufspringen.
Warme Träume
Es war wieder saukalt, mein Schlafsack versuchte mich im Rahmen seiner Möglichkeiten zu wärmen. Ich hatte mehrere Träume in dieser Nacht. Alle liefen nach demselben Konzept ab. Ich durchlebte irgendein Szenario und weil mir so kalt und ich so müde war, versuchte ich einen warmen Schlafplatz zu finden. Und ich fand eine gemütliche Couch, oder warme Abstellkammerräume und dergleichen. Mindestens drei dieser Träume später ging die Sonne langsam auf. Kein Trän diese Nacht. Was eine Enttäuschung. Und pünktlich um neun Uhr morgens fuhr der Bull wieder mit seinem orangenen Pick-Up hin und her. Ich wollte gerade aus meinem Gebüsch raus, da sah ich ihn wieder angefahren kommen. Alarm! Schnell wieder in Deckung.
An Aufgeben war nicht zu denken. Aber ein neuer Plan wurde erforderlich. Ich musste irgendwie einen Zug abfangen. Also erstmal zu WalMart Vorräte neu aufstocken. Außerdem hatte ich mir noch Oropax gekauft. Meine Ausrüstung optimierte sich immer weiter. Im Internet hab ich dann herausgefunden, dass ich an der falschen Stelle gewartet hatte und der eigentliche Crew Change weiter südlich im Yard war. Generell galt hier: „Catwalk.“ Wie wörtlich das gemeint war, sollte ich später selbst herausfinden. Der Hop-Out war anscheinend ziemlich freiliegend. Ziemlich schwierige Mission, die da vor mir lag. Besser nur bei Nacht nutzen. Also wieder warten. Ich wanderte Richtung Yards, suchte mir ein schattiges Plätzchen, faltete meinen Pappkarton aus und machte erstmal ein Nickerchen.
Dieses sinnlose warten. Herrlich. Hätte ich beim Trampen nie, da bin ich immer bereit und konzentriert. Ich lag vor diesem Haus, irgendein Mann sagte ich solle aufpassen, weil ich in den Knast komme, wenn die Polizei mich hier schlafen sieht. Amerika und Obdachlos. Ich lag vor dem einzigen Haus in dieser Straße nahe den Yards. Leute hielten wahllos an und luden Müll ab. Bildschirme, Pappkartons. Erst als ein paar Atzen erschienen und diese Kartons durchwühlten und alles von Wert mitnahmen, erkannte ich, dass hier eine Kleiderspende war. Richtig gut vorbereitet für eine kalte Nacht auf dem Zug war ich nicht. Ich fand eine nette Lederjacke für mich.
Crazy people
Irgendwann kam ein Mexikaner angetrudelt, geschätzt Mitte vierzig, mit einem kleinen Rucksack und einem Schlafsack in der Hand. Fragte mich, wie man am besten nach Chicago kommt. Er wollte auch einen Zug abfangen in der Nacht, ist aber seit 10 Jahren nicht mehr gehoppt. Hat mir eine Cola gekauft und ein paar Socken geschenkt. Im Gegenzug hab ich ihm ein Feuerzeug gegeben. Man hilft sich auf der Straße. Sharing is caring!
Und wo ich den ganzen Tag geschlafen und gesessen hatte, entwickelte sich nun eine kleine Gemeinschaft. Ein anderer Kerl, braun gebrannt, alles voller Tattoos, mit einem Kopftuch und einer Art Gepäck (eine Tabletverpackung und eine Wasserflasche zusammen gebunden zu einem Bündel) erreichte unsere kleine Gruppe. Er brabbelte sofort los, als ob wir uns schon jahrelang kennen würden. „Ich war nun zwei Jahre nicht in der Stadt, bin gerade wiedergekommen und die Cops sind schon wieder hinter mir her.“ Die COOOPS!! Drei Autos anscheinend, den ganzen Tag folgen sie ihm schon. Nur jetzt nicht. Waren anscheinend wohl gerade Kaffee trinken. Klarer Fall von Paranoia oder doch Polizeistaat? Ich gab ihm ein paar Zigaretten.
In den nahe gelegenen Yards sah ich einen schwarz gekleideten Menschen mit Rucksack. Durch den Verbrecherlook war er eindeutig als Trainhopper zu identifizieren. Kurzer Schnack. „Are ou catching out?“, fragte er mich. „Yes, where are you going?“ „California.“. Meine Richtung. Sein Name war Roy. Wir taten uns zusammen. Roy war bestens vorbereitet. Einer seiner Kumpels kannte wohl den Autor vom Crew Change Guide persönlich, was ziemlich mächtig ist und weshalb er auch die allerneueste Version hatte. 2015. Die heilige Schriftrolle. Wir machten es uns nahe der Eingangszone zu den Yards gemütlich und warteten auf die Dunkelheit. Eine in jeglicher Hinsicht großartige Nacht sollte anstehen……