Nachdem ich also meine erste ernsthafte Fahrradpanne hatte, musste ich in ein nahe gelegenes Dorf Trampen. Dort wollte ich gleich weiter in die Stadt, aber die Lokals meinten, es gibt da eine Fahrradwerkstatt. Okay. Es gab eine Kompressor. Aber wir wollen uns nicht beschweren. Besser als nichts und ich hatte Flickzeug dabei. Reifen über gezogen, aufgepumpt und diese exorbitant große Hinterradbeule war wieder da. Sogar schlimmer als zuvor. Also Reifen nochmal neu drauf. Beule wieder da. Anderer Schlauf rein. Beule wieder da. Ach egal. Dann fahr ich eben mit Beule. Also weiter aufpumpen. Der Kompressor hatte 5,5 bar, zu Hause fahre ich mit 7-7,5 bar. Ich deutete an, dass wir soviel Luft wie möglich draufmachen sollten. Ja noch ein bißchen. Noch ein bißchen. Puff. Mein neuer Schlauch geplatzt. Okay. Das wars. Kein Fahrrad mehr heute. Ich trampe jetzt. Hab genug von dem Scheiß.
Ich lief erstmal ins Dorf zurück. Wollte zur Straße um zu trampen Ich hatte auf dem Weg schon ein nettes Lokal ausgemacht, wo ich mir erstmal ein Bier gönnen sollte. Es wurden zwei. Und zwei Würstchen. Ich fand mich anschließend in einer recht großen Gesprächsrunde wieder. Alle möglichen Fachmänner begutachteten mein Fahrrad. Irgendwann fuhr ein Bus vorbei. Die Schwarmintelligenz schaltete sofort. Der Bus wurde angehalten und Verhandlungen aufgenommen. Fahrrad mitnehmen okay? „Descarga“, Auseinanderbauen. Ich konnte kaum Hallo sagen, da hatten die Leute schon mein Fahrrad halb zerstückelt und luden es in den Bus. Vor lauter Hektik hätte ich fast vergessen meine Wurst und das Bier zu bezahlen. Also eben Busfahren zum nächsten Fahrradshop. Das ist ja ein Notfall hier und offiziell trampe ich nicht. So red ich mir das schön.
Busfahren geniesse ich, da ich es ja nicht so oft mache und es für mich den Gipfel des Komforts darstellt. Das währte aber nicht lange. Nach ca. 15 Minuten platzte uns ein Reifen. Anscheinend möchte das Schicksal irgendetwas nachholen mit meinem Leben. Seit mehr als 25 Jahren keine geplatzten Reifen erlebt, dass muss sich ändern. Anders kann ich mir den vierten Unfall dieser Art aus den letzten 3 Monaten nicht erklären. Der Reifenwechsel wurde auch abenteuerlich, da irgendein Honk eine (!) Mutter unterschiedlicher Größe auf eine der Schrauben geknallt hatte und wir keinen passenden Schlüssel hatten. Erstmal einen hilfreichen Trucker anhalten. Aber danach ging es weiter.
Im Fahrradshop der nahe gelegenen Stadt haben die Jungs mir meinen Reifen für 1€ gewechselt. Neue Felge war leider nicht zu haben, aber das Problem konnten wir analysieren. Ich hatte einen schönen Schlag in der Felge. Also keine Acht, sondern ein Ei ward aus dem einst rundem Gegenstand geworden. Aber: Das Rad fuhr wieder und ich befand mich endlich in der flachen Ebene. Hinter dem Ersten der insgesamt drei Gebirgskämme, die ich in Kolumbien durchqueren sollte.
„Hej, der Typ hat ne Meise aber Rückenwind“
Ich fuhr. Mit Rückenwind. In der Abendsonne. Entlang der Autobahn. 10 km, 20 km….es dämmerte. Ich radelte mich geradezu in einen Rausch zum Ende dieses Pannentages auf dieser flachen, schönen Straße im angenehmen Abendwetter. Thomas D. – Rückenwind erklang in meinem Ohr durch meine imaginären Kopfhörer. Ich sag euch, das war die absolute Serotoninvöllerei. Ich war so glücklich und so angetrieben. Zufrieden vom „in Bewegung sein“. Insgesamt sollte ich noch 35 km zurücklegen, ehe ich mich an einer Art Raststätte wiederfand, dort mit meinem letzten Geld ein oppulentes Abendessen verabreicht bekam und nebenbei Copa Americana (Chile – Uruguay, gutes Spiel, viele Rote Karten und unterhaltsame Eskalation am Ende der Partie) schauen konnte. Im Endeffekt dann doch ein geiler Tag. Insgesamt 90 km geradelt. Nur das mit dem Schlafen sollte wieder nicht so gut klappen. Ich war wach. 3 Tage Fahrradfahren und kein Zeichen von Erschöpfung.
Nächster Morgen, mal wieder Geldautomat suchen. Da ich meist nie mehr als 20€ mit mir rumtrage, muss ich jeden Tag Geld abheben. Ich startete gegen 8 Uhr und es war noch angenehm kühl. Das sollte sich bald ändern. Und dazu fuhr ich noch mitten in die nächste Cortillera rein. Das bedeutete wieder knackige Anstiege und Berggipfel. Und schieben. Viel schieben. Pause machen. Trinken. Weiterschieben. Zwischendrin war ich des öfteren am Abkotzen (in Gedanken) und beschloß, dass ich auf jedenfall am nächsten Tag in Medellin ankommen will. Nicht noch einen weiteren Tag diese Gebirgsplackerei. Dann schob ich weiter.
Beitrag zur allgemeinen Verblödung
Irgendwo in einem kleinen Laden an eine Anstieg machte ich gerade Pause und trank Coca-Cola, während im Fernsehen Nachrichten liefen. Nachrichten in Kolumbien haben diesen Namen eigentlich nicht verdient. Das ist eher Reality-Soap. Hier ein Raubüberfall, dort ein Drogenboss gefangen, hier die weinende Mutter mit dem Foto ihrer entführten Tochter und am Ende nochmal alles von vorn. Andere Arten von Nachrichten werden nicht gezeigt. Dafür wird aber jede noch so uninteressante Story bis zum geht nicht mehr ausgequetscht. Wenn ich den ganzen Tag mit so einem Brei gefüttert werde, dann denke ich am Ende natürlich, dass dieses Land total gefährlich ist. Irgendwie zum Lachen, weil es so billig gemacht ist. Aber auch traurig, weil es mit der Realität so wenig zu tun hat. Nur eine weitere Episode zum weltweiten Untergang des Fernsehens und dessen Beitrag zur allgemeinen Verblödung. Cheers.
Geht jetzt „eher flach“ weiter
Während im Fernsehen der nächste Raubüberfall begann, nutzte ich die Chance um nach dem Weg und dem folgenden Terrain zu fragen. Es ging anscheinend nochmal 15 Minuten bergauf, dann kurz runter und nochmal hoch und irgendwann sollte es „eher flach“ weitergehen. Ich beschloss weiter zu schieben und anschließend die flache Strecke zu genießen. Danach trampen. Es war nicht mehr weit, aber vor mir lag noch ein 25 km langer Anstieg hoch auf über 2000m. Selten war ich so unmotiviert. Aber ganz so billig wollte ich die Sache nicht aufgeben. Daher nochmal die letzten beiden Anstiege hochquälen. Die Abfahrt führte mich dann zu einer Brücke, die schwer bewacht vom örtlichen Militär als sicherer Ort im bergigen Guerilla Jungle empfohlen wurde.
Nachdem mir ein paar Arbeiter erklärten, dass hier keine flache Ebene, aber hügeliges Terrain folgt, hab ich abgesattelt. Aus jetzt. Trampen ist angesagt. Gute Entscheidung. Bei näherer Inspektion meines Fahrrads fiel mir auf, dass die Hinterradbremse sich gelockert hatte. Machte mein Rad nicht unbedingt sicherer. Bremse funktionierte zwar, hing aber auf halb acht und versuchte sich unbemerkt abzusetzen. Es hat auch nur ca. 15 Minuten gedauert, da zog ein Pick-Up rüber. Wohin geht’s? Medellin. Trampen mit Fahrrad: Nice and easy. Er hatte sogar ein spezielles Gewinde für den Fahrradtransport auf der Ladefläche, sodass ich meine Vorderachse festmachen konnte.
Sein Name war Juan, er hatte mehrere Obstfarmen und produzierte Saft. Ein junger Typ, hatte gerade 12 Tage vorher seine erste Tochter bekommen, sprach gutes Englisch und zeigte sich sehr beeindruckt von meiner Reise. Ich genoss die Fahrt in der Abendsonne mit der Gewissheit, bald eine Dusche und ein Bett zu haben. 4 Tage Radfahren, schwitzen, in denselben Klamotten stecken, das war selbst für mich etwas zuviel.
Als wir in Medellin reinfuhren, fiel mir als Erstes auf, dass die Stadt ziemlich groß war. Medellin liegt außerdem in einem Tal, umringt von vielen Bergen mit sehr steilen Anstiegen. Zu meiner Überraschung quälten sich etliche Sportradler die Abhänge hoch, als wir Abends in der Stadt ankamen. An einem dieser Abhänge ließ Juan mich raus, erklärte mir, wie ich in die Stadt kam. Eigentlich musste ich nur den Berg runterrollen. Mein Rücklicht hatte ich nach dem ersten Gebrauch schon in Bogota verloren. Aber Licht ist überbewertet. Viel wichtiger sind Bremsen. Davon hatte ich auch nur noch eine. Als mir das einfiel, war meine Begeisterung für die Abfahrt sogleich etwas getrübt.
Mit zwei Pausen zum Felgen kühlen, schaffte ich es aber doch irgendwie in die Stadt. Zuerst verfuhr ich mich. Dann stellte ich fest, dass ich keine Ahnung habe, wo ich eigentlich hin will (irgendein Hostel). Versuche ein Internetcafe zu finden, erwiesen sich als zwecklos. Ich gönnte mir einen Burger bei einem Straßengrill. Was wirklich geil war mit meinem Fahrrad, dass ich in jeden Teil der Stadt radeln konnte ohne über die Distanz nachzudenken. Gefiel mir gut, so mobil zu sein. In irgendeinem Gasthaus über einer Autowerkstatt fand ich ein billiges Zimmer. Ich war der einzige Gast. Bin da auch nur rein, weil einen Block weiter eine Jazz-Session lief und ich seit 9 Monaten keinen Live-Jazz mehr gehört hatte. Ich war völligst fertig von der Tour, aber immernoch nicht müde. Bzw. ich war so müde, dass ich wiederrum nicht müde war. Da bleibt dann nur noch eins übrig: Trinken. Mit Live-Jazz Untermalung eine langsame Narkotisierung einleiten um dann irgendwann ins Bett zu fallen. Hat funktioniert.
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