Brasilien aus dem Logbuch (1)

verschwommene Straßen
verschwommene Straßen.
Nachdem ich Venezuela im Schnelldurchlauf hinter mir gelassen hatte, kam ich endlich nach Brasilien. Hier 
ging meine Tramptour eigentlich erst richtig los. Im folgenden eine Erzählung aus meinem Logbuch.
Freitag der 09. Januar 2015 ; 22:15 Uhr

Ich stehe am Ortsausgang von Mucajai, Nordbrasilien. Es ist bereits dunkel und ich habe mein Equipment zum Nachttrampen angelegt. An der gegenüberliegenden Tankstelle herrscht reger Betrieb. Es schallt laute brasilianische Popmusik über die Straße. Ich habe Kopfschmerzen. Die Musik ist schrecklich. Das Scheinwerferlicht blendet. Die Nacht vorher hab ich nicht geschlafen. Ich warte 2,5 Stunden, es halten ein paar Autos, aber ich finde keinen Lift. Es kündigt sich eine Migräne an. Ich beschließe in die Dunkelheit zu laufen, weg von der gräßlichen Musik und dem Licht.

Nachttrampen
Nachts warten auf den nächsten Lift.

22:45 Uhr

Auf der Straße riecht es nach verwestem Fleisch. Ich finde zwei Roadkills, die ich in der Dunkelheit nicht als Tierkadaver ausmachen kann. Am nächsten Morgen werde ich sie fotographieren und beschließen eine Fotoserie über Roadkills zu erstellen. Ich bin auf der Suche nach einem Schlafplatz. Auf der linken Seite sehe ich eine Mauer, dahinter verbirgt sich ein Friedhof. Die Gräber sind sehr schön und es gibt viele kleine Mausoleen mit Türen und Fenstern. Vielleicht sollte ich mich in eines der Mausoleen legen…nein, das erschien mir etwas pietätlos. Ich finde eine kleine Steinbank und lasse mich darauf nieder. Mich befällt tiefer Schlaf.

Samstag der 10. Januar 2015 ; 05:41 Uhr

Sonnenaufgang am Friedhof. Zähne putzen am Straßenrand. Kein Auto hält. Willkommen in Brasilien. Ich beschließe zu laufen.

08:29 Uhr

Endlich hält ein Auto. Zwei Stunden und 48 Minuten für meinen ersten Lift an diesem Tag. Zieht sich. Wir fahren 10 Minuten bis in die nächste Ortschaft.

09:38 Uhr

59 Minuten gewartet, bis mein zweites Auto mich mitnimmt. Brasilien schmeichelt mir. Wir fahren 15 Minuten in die nächste Ortschaft. Ich beschließe zu Frühstücken und kaufe mir eine Flasche Wasser, Kaffee, gefüllte Teigtaschen und ein Stück Kuchen.

12:16 Uhr

Warten in Caracarai. Seit 1 Stunde 40 Minuten. Süße Mittagssonne, kein Schatten. Ich esse ein Eis. Ein Mercedes Truck hält. Fahrer heißt Grafite und fährt ins 650km entfernte Manaus. Yeah man! Ich werde wahnsinnig vor Freude, möchte schreien. Adrenalin schießt in meinen Körper. Es ist der beste Kick beim trampen, wenn man solange für den nächsten Lift arbeiten musste und dann endlich belohnt wird. Macht süchtig.

Truck Foto inside
Fotographieren aus dem Truck
 Sonntag der 11. Januar 2015 ; 08:49 Uhr

Manaus. Ich bin euphorisiert. Venezuela-Manaus als erste Etappe schnell überwunden. Keine Zeit verlieren, der Weg ist noch lang. Es regnet in strömen. Ich falle irgendwo in der Stadt aus dem LKW. Nehme den nächsten Bus zum Hafen um mich nach der Fähre zu erkundigen. Die Dame teilt mir mit, dass die Fähre in 20 Minuten ablegt. 20 Minuten. Yeah man! Speed! Ich renne zum Pier, als ich ankomme bin ich komplett durchnässt. Aber egal, hauptsache nach Uruguay durchknallen. An der Fähre hab ich nicht genug Geld, ich mache einen Deal mit US-Dollar, bezahle etwas mehr. Schon okay. Geht ja bald los. Ich hab das Ticket in der Tasche. Das Adrenalin kickt wieder.

Und dann hab ich meine Fähre verpasst. Zeit für den nächsten Adrenalinkick. Diesmal wird es aber ein ganz Besonderer.

Dienstag der 13. Januar 2015 ; 17:40 Uhr

Die Fähre legt an. Santarem! Ich bin überaus zufrieden, laufe unbeirrt durch die aussteigenden Massen und gehe meine Straße suchen.

Santarem arrival
Ankunft in Santarem.
advanced hammoking
Fortgeschrittener Hängemattengebrauch auf der Fähre.
18:01 Uhr

Ich mache eine Pause, esse etwas und freue mich. Es ist mir wichtig gestärkt in die Nacht zu gehen. Ich hoffe ich kann das bisherige Tempo aufrecht erhalten.

18:23 Uhr

Pause zuende. Zum Abschluss noch eine Schokomilch. Weiter geht’s.

19:24 Uhr

Mein Fahrer fährt einen alten Pick-Up. Er biegt in eine Seitenstraße ein, erklärt mir er müsse noch etwas bei Freunden machen. Wir halten an, die Begrüßung ist herzlich, die ganze Familie sitzt zusammen beim Abendessen. Ich bin immernoch überaus zufrieden. Es gibt Kaffee, das Leben meint es gut. Wir laden zwei junge Kerle auf und fahren in die Dunkelheit zu einer Baustelle. Wahrscheinlich baut einer der beiden hier sein neues Haus. Wir laden ein paar Eisenteile aus dem Pick-Up, alle sind glücklich, dass ich eine Kopflampe dabei habe und Licht machen kann. Dann geht es weiter auf der Straße.

Freitag der 14. Januar 2015 ; 00:20 Uhr

Belterra. Ich stehe hier seit fast 4 Stunden. Es gibt keinen Verkehr mehr. Vielleicht besser zu schlafen und etwas Energie zu tanken. Immerhin 100 km geschafft in dieser Nacht. Besser als nichts.

Da war auch dieses Schild zuvor: Rio de Janeiro – 4000 km. Ich muss lachen. Wahnsinn und Skepsis betreten den Raum. Wahnsinn lächelt verschmitzt und verwickelt die Hauptmission in ein angeregtes Gespräch. Es gibt Alkohol, die Stimmung ist gelöst. Die Gewissheit spricht ein Machtwort. Alle wieder zurück an die Arbeit, wir müssen nach Uruguay.

05:09 Uhr

Aufstehen. Erstmal schöne 90 Minuten warten auf den nächsten Lift. Dieser verdammte brasilianische Norden. Trampen ist hart in Brasilien.

07:32 Uhr

Ich sitze in einem kleinen Fiat. Wir halten schon das zweite mal an. Der Motor ist überhitzt. Wasser nachfüllen. Hoffen, dass die Anzeige runter geht. Es fährt wie ein irrer. Bis runter nach Ruropolis soll es gehen, auf die Br 230, auch genannt Transamazonica.

Einzelne Abschnitte der Straße sind nicht geteert. Eine Staubpiste, bedeckt mit roter Amazonas Erde. Es existieren überaus fiese und tiefe Schlaglöcher. Die Straße ist absolut gerade und strahlt Ewigkeit aus. Ich bin entzückt. Jeder Hügel der von unserem klapprigen Kleinwagen gemeistert wurde, entblößt neue Überraschungen und Panoramas. Ich fotographiere durch die dreckige Windschutzscheibe. Straßenästethik.

10:40 Uhr

„Transamazonica is easy to hitch“ – ich denke seit 1,5 Stunden über diesen Satz nach, während ich auf das nächste Auto warte. Meine Position ist gut, direkt hinter einer Bodenwelle.

Kadaverfight Geier
Kadaverfight unter Geiern.

Hinter mir streitet sich ein Geier-Clan um einen Kadaver. Ich kann nicht wirklich erkennen was es mal war. Vermutlich ein Hase oder ähnliches. Eine Gruppe von 10-15 Vögeln zerren an dem Fleischfetzen und versuchen ein Stück für sich abzureissen. Dann taucht plötzlich der Hund auf.

Ich habe das oft in Brasilien erlebt. Geier sind ein guter Indikator für die Existenz von totem Fleisch. Der Hund weiß das. Er wird gewissermasen zum Parasiten. Die Geier kämpfen aufopferungsvoll um ihr Essen, bis der Hund in den Ring betritt, in die Masse springt, alle Vögel zwei Meter zur Seite springen lässt und vor seinem Essen steht. Ihm macht es sichtlich Spaß. Der Hund sieht hierbei keineswegs böse oder bedrohlich aus. Eher dümmlich und frohlockend. Er glänzt triumphal in der Mitte dieser missgestalteten Vögel, die vereinzelt immer wieder vorsichtig an den Kadaver herantreten, bis der Hund wieder einen Satz nach vorne macht und alle zum wegfliegen bringt. Ich amüsiere mich.

13:44 Uhr

Ich hatte vier Lifts bisher. Wartezeiten waren: 91 Minuten; 20 Minuten; 105 Minuten und 50 Minuten. Ich muss wieder an Keith´s Satz denken. Nach drei Minuten hält ein Volvo Kleinlastwagen an. Ich springe auf die Ladefläche, weiß nicht wie weit sie fahren. Wir starten. Was folgt ist der wahrscheinlich beste Lift meines Lebens auf einer der schönsten Straßen, die ich bisher befahren habe.

Ladefläche trampen
Tramperromantik hinten auf einer Ladefläche.

Die Transamazonica ist in aller erster Linie eine Matschpiste, im bestenfall staubig und wenn es regnet unbefahrbar. Die Straße zieht sich durch bergiges Gelände. Sie ist wie ein deutscher Feldweg, der zweimal durchgepflügt, mit extra großen Steinen versehen und der staubigen roten Erde bedeckt wurde. Bei Regen wandelt sich dies zu einer Art Riesenrutsche ohne Wasser. Jeder Hügel wird zur Bewährungsprobe. Es bilden sich Staus. Die Leute beobachten große, moderne Fernreisebusse, die sich, wieauchimmer, durch das unwegsame Gelände kämpfen.

Busse gibt es überall. Das macht sich insbesondere bezahlt, wenn das eigene Fahrzeug mal wieder steckenbleibt. Dann muss nämlich geschoben werden. Mit 15-20 Menschen.

Es kann immer nur ein Fahrzeug den Berg hoch, alle anderen warten und schauen sich das Spektakel an. Es wird gelacht und gescherzt, geraucht und geglotzt. Wenn dann doch mal ein Fahrzeug steckenbleibt geht das Standartprozedere los. Erstmal probieren lassen. Nach einer Weile wird akzeptiert, dass da jemand steckenbleibt.

Stau Transamazonica
Stau auf der Transamazonica.

Die Menschen sind mittlerweile aus dem Bus ausgestiegen. Keiner hat Lust auf das was kommt, aber alle wissen das es getan werden muss. Langsam setzt sich der Mob in Bewegung. Sehr langsam, immer in der Hoffnung, dass die durchdrehenden Reifen wieder erwarten doch noch Grip erhalten und das Fahrzeug den Anstieg schafft. Die ersten legen Hand an, es wird gedrückt, geschoben, gerüttelt, gezogen. Einige Lustlose stehen ringsum und sehen ein, dass sie auch helfen müssen. Gemeinschaftsarbeit im Matsch. Das Fahrzeug droht in den Graben zu gleiten. Es wird geschriehen. Die unbekannten Busreisenden stemmen sich mit ihrer bisher sauberen Kleidung gegen den matschigen LKW. Irgendwie schafft er es den Berg hoch. Es geht weiter.

Wir mussten insgesamt drei mal schieben auf unserer fünfstündigen Fahrt. Das war aber nur das Sahnehäubchen. Die ganze Fahrt war eine einzige Tortur. Selbst als Mitfahrer äußerst anstrengend. Ich saß unter freiem Himmel auf der Ladefläche, hab versucht mich festzuhalten, während die Straße mich von links, nach rechts und oben nach unten durchgeschüttelt hat. Schlaglöcher, ausweichen, Felsbrocken, Matsch, Staub und immer wieder dieses unbarmherzige Rütteln und die Erschütterungen. Irgendwann halten wir an. Ich kaufe mir ein exorbitant großes Stück Schokoladenkuchen, Kaffee und Wasser. Der beste Kuchen, den ich in meinem Leben gegessen habe.

Ich geniesse die Fahrt. Ringsherum flacher Regenwald, Sonnenuntergang. Wir laden zwischendurch zwei Frauen ein, auf dem staubigsten Stück der ganzen Strecke. Als sie ausstiegen waren sie in grauen Puder gehüllt und wussten wohl selbst nicht so genau, ob dieser Lift eine gute Idee war. Aber ich war noch viel dreckiger. Mein Bart erwies sich als sehr guter Staubfänger.

Dreck im Bart.
Nach fünf Stunden Transamazonica.

Zum Bild, ja ich war ziemlich durch. Fünf Stunden Transamazonica sind kein Kaffeekränzchen.

19:19 Uhr

Die Fahrt ist zuende, es ist schon dunkel. Ich verharre kurz und lass das Erlebte auf mich wirken. Ich will sofort weiter, aber beim Blick in den Spiegel erkenne auch ich, dass eine Dusche dringend notwendig ist. Ich dusche und gehe danach Abendesse, gönne mir ein Bierchen (660ml) und stehe 21:01 Uhr wieder an der Straße.

Vor mir liegen immernoch 550km Transamazonica bis nach Maraba. An mir fährt ein großer Fernreisebus vorbei. Der Nachtbus nach Maraba. Ich trampe nicht, lass ihn vorbeifahren. Plötzlich hält der Bus an, legt den Rückwärtsgang ein und will mir signalisieren, dass ich mitfahren kann. Nachtlift nach Maraba. Wirklich? Ich kann es nicht glauben. Adrenalin mal wieder. Euphorie und Wahnsinn liegen sich heulend in den Armen. „Schneller immer schneller, auf nach Uruguay!“, schreien sie gemeinsam.

Ich steige ein. Wir fahren los. Was folgt ist die beschissenste Nacht meines ganzen Trips…..

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