Ich zeltete an der Karibikküste in La Miel/Panama. Hinter mir befand sich der dichte Dschungel des Darien Gaps. 5:30 Uhr. Irgendwas hat mich zum aufwachen bewegt und als ich aus dem Zelt schau, steht da gerade eine Gruppe von 15 Menschen mit dem Kommandeur des Militärs und bekommt irgendeine Einweisung. Wahrscheinlich Kubaner, die die Grenzorte bevölkern und manchmal auch illegal nach Nordamerika wandern. Es weht eine leichte Brise, wie schon die ganze Nacht.
Die gewerkschaftliche Organisation einer Stechmücke
Obwohl hier dichte Vegetation und ein lebendiges Tierreich existiert, war ich doch überrascht, als am Abend zuvor keine einzige Mücke meine Existenz belästigten. Eine positive Überraschung, dass die kleinen Blutsauger anscheinend geregelten Arbeitszeiten nachgehen. Ich lag sogar mehrere Minuten ungläubig in meinem Zelt, hab mit der Kopflampe in die Dunkelheit gestrahlt und versuchte irgendwelche Insekten zu erspähen. Gab aber keine. Die Kehrseite der Medaille zeigte sich dann gegen 5:45 Uhr. Dienstbeginn. Alle Mücken an die Stechuhr (haha, sorry, den konnte ich mir nicht verkneifen). Und während ich das Zelt abbaute, klebten die Mückenschwärme an mir, wie Bienen an einer Honigwabe.
Aber das erste Tagesziel war geschafft. Früh aufwachen. Da ja mein möglicher Lift irgendwann ablegen sollte. Ich wartete am Sekretariat des Armeepostens, dass jemand von meinem Boot vorbeikommt. Da kam der Junge Kerl vom Abend zuvor, mit dem ich mich so nett unterhalten hatte. Heute etwas unfreundlicher. Ich sagte Hallo und setzte mich an seine Versen auf dem Weg Richtung Boot. Dort war die ganze Mannschaft schon am Arbeiten. Es wurde größtenteils allerlei Schnaps für den Duty Free Shop ausgeladen, Waschmaschinen, Kühlschränke, Kühltruhen und anderer Elektrokram vom Dach des Bootes herunter gelassen. Nicht jeder Karton erfuhr eine sanfte Landung. Dieser ganze Prozess, in welchem noch 800 Pakete mit Wasserflaschen und 250 24er Packs Coca Cola involviert werden sollten, dauerte mehrere Stunden.
Ich entfernte mich irgendwann vom Boot und setzte mich zu der Gruppe jüngerer Menschen um etwas zu schnacken. Meine Kontaktperson von gestern war auch dabei und ich erkannte, dass der garnicht zum Boot gehörte. Die Konversation war auch etwas unfreundlich. „Habt ihr Feuer? Dauert wohl noch etwas.“ „Wo willst du hin?“ „Puerto Obaldia mit dem Cargo Boot.“ „Das ist nicht möglich. Keine Passagiere erlaubt. Du musst eine Lancha nehmen. Hier der Kollege kann dich fahren.“ Das war natürlich eine dreiste Lüge. Besonders dreist, weil derselbe Kerl der jetzt meint „No puede (das geht nicht).“ mir am Tag zuvor noch gesagt hat, dass es kein Problem ist. Auch dreist, weil sowohl Militär, als auch Kapitän das schon abgenickt hatten. Ihr verdammten Blutsauger!
Alles für die Crew, alles für den Club
Da ich nichts besseres zu tun hatte, hab ich mich irgendwann einfach in die Transportkette gestellt und fortan mehrere Stunden mitgeholfen das Boot auszuladen. Dem Kapitän hat das gut gefallen. Er war sowieso ein sehr netter Zeitgenosse. Immer am Lachen. Ein Klischeemäßiger Latino, ursprünglich aus Panama City, durch nichts aus der Ruhe zu bringen. Auch nicht von herabfallenden Gaskühlschränken. Er hatte einen gut gepflegten Schnäuzer, kurz geschorene Haare und Segelohren. Eine Mischung aus Ernie von der Sesamstraße und dem jungen Samuel L. Jackson in Pulp Fiction. Er hatte eine mittellaute, authentische Lache, bei der ich automatisch mitlachen musste und war stets für einen Scherz aufgelegt. Allerdings sprach er sehr schnell und undeutlich. Ich verstand kein Wort von dem was er gesagt hat. Leider. Aber ich mochte ihn trotzdem sehr.
Gegen Mittag legten wir ab Richtung Puerto Obaldia. 20 Minuten Fahrt und ein Einreise-Stempel warteten auf mich. Mittagessen habe ich für meine Hilfsarbeit auch bekommen. Sehr freundlich. Ich war bereit für die Einreise. Mein Rucksack wurde komplett auseinander genommen vom nächsten freundlichen Kommandeur. Die Immigration hatte geschlossen und ich musste 30 Minuten warten. Das alles ging mir sehr gegen den Strich, weil ich insgeheim hoffte, mit dem Boot auch weiterfahren zu können. Ich versuchte mit fertigem Pass schnell wieder zurück zu kommen.
Ich hatte einen Lift nach Panama!
Machen wir es kurz. Es gab einiges hin und her mit der Armee und dem Kapitän, aber am Ende stand mein Name auf der Crew-Liste und ich hatte meinen Lift über das Darien Gap zur nächsten Straße. So einfach geht das. Passage erledigt. Von nun an war ich Arbeiter auf einem Cargo Schiff und das war eine angenehme Abwechslung zum üblichen Trampen. Die Fahrt sollte knapp eine Woche dauern. Mit Ernie L. Jackson und einer Crew, die größtenteils aus Kuna bestand, den Eingebohrenen der San Blas Inseln.
Zur ersten Nacht legten wir an einer der San Blas Inseln an. Nachdem wir das Boot vertaut hatten, ging ich auf eine kleine Erkundungstour. Die Insel war nicht größer als drei Fußballfelder, aber bis zum letzten Rand mit Hütten bebaut. Für mich war das hier vielleicht der erste wirkliche Kulturschock, an den ich mich erinnern kann. Es gab kein einziges Steinhaus auf dieser Insel, alle Hütten waren traditionell mit Reebdächern und Bambus (glaube ich) gebaut. Ich streifte durch die Dorfstraßen, es roch nach Holz und ich kam mir vor wie in einer Wikingersiedlung.
Im großen Haupthaus fand gerade eine Zeremonie statt. Ich setzte mich dazu. In der Mitte dieses länglichen Gebäudes saßen zwei Männer in Hängematten und sangen traditionelle Kuna Gesänge. Hörte sich an wie indische Chantis. Sehr entspannend. Ich machte zwei Fotos und sogleich kamen ein paar Dorfbewohner, baten mich nach draußen und zwangen mich, die Fotos zu löschen. Es sei nicht erlaubt. Ich entschuldigte mich. Allerdings werde ich später versuchen, die Fotos mit einem Recovery Tool wiederherzustellen (hat nicht funktioniert). Nach meinem überraschend, interessanten Spaziergang kehrte ich auf mein Boot zurück, wo die ganze Crew am saufen war. Es war der letzte Abend. Am nächsten Tag sollten wir auf die Hauptinsel der Kuna fahren, wo ein Großteil der Crew zwei Tage bei ihrer Familie sein würde.
Alkohol + Besatzung = Unterhaltung
Die Kuna vertragen nicht zuviel Alkohol. War so mein Gefühl. Besonders die Älteren waren recht schnell betrunken. Als ich schon im Bett lag, ging irgendwann der Stress los. Der zweite Kapitän, ein großer, ekelhafter Typ, der auch bei den Hells-Angels nicht aufgefallen wäre, stritt sich mit unserem Schiffskoch Pablo. Pablo hatte ich sehr gern, da er sich so lieb um mich kümmerte. Er ging mir ca. bis zum Bauchnabel, hatte einen flusigen Bart der ihn Aussehen ließ wie ein Katzenfisch und trug permanent eine Basecap von irgendeinem panamanischen Schlagerstar. Die beiden schrien sich an. Ich hab keine Ahnung worum es ging, aber der grimmige Kapitän fragte ständig: „Dormiste, dormiste.“ „Hast du geschlafen, hast du geschlafen?“ Irgendwann hörte ich nur ein dumpfes Klatschen und da hat dieser Arsch dem armen, unterlegenen Pablo doch tatsächlich eine verpasst. Pablo hatte am nächsten Morgen ein blaues Auge.
Zweiter Akt: Ich versuchte zu schlafen, aber über mir pendelte in seiner Hängematte „der Schnarcher“. Wobei es weniger ein Schnarchen, denn mehr ein Schnoddern war. An Schnarcher kann man sich ja gewöhnen, sobald man den Rhythmus verinnerlicht hat. Aber nicht beim schnoddern. Vereinzelte Schleimbrocken, die sich in häufigen, aber unregelmäßigen Abständen im Rachenraum von der eingeatmeten Luft nach hinten schnoddern lassen. Das wurde ergänzt durch Atemaussetzer. Manchmal dachte ich er sei tot. Manchmal entspannte ich mich kurz, weil ich dachte das schnoddern sei zuende. Immer ging es mit einem lauten, röchelnden Einatmer weiter. Wie Chinesische Wasserfolter. Man weiß nie, wann der nächste Tropfen kommt.
Das Kino der besoffenen Schiffsbesatzung ging weiter. Irgendwann trugen zwei der jüngeren den alten, gebrechlichen Schiffsmechaniker zu seiner Hängematte am Ende des Bootes. Ich hatte schon vorher beobachtet, dass er total dicht war. Am Ende konnte er anscheinend nicht mal mehr laufen. Ich hab letztendlich den Platz unter dem Schnodderer geräumt und mich auch ans Ende des Schiffes gelegt, weil es dort ruhiger war. Ich lag nun direkt unter dem Schiffsmechaniker.
Irgendwann öffnete ich die Augen. Was war hier los? Mr. Mechaniker stocherte, unbeholfen wie ein Tattergreis, mit seiner Hand in der Dunkelheit. Er war weit entfernt davon irgendeinen Gegenstand zu fassen zu kriegen. Er versuchte aus seiner Hängematte aufzustehen, war aber immernoch total betrunken oder generell etwas senil. Ich hab mir das eine Zeit lang mit angesehen und gehofft er würde irgendeinen Fortschritt machen. „Du schaffst das, komm Alterchen!“, ging durch meinen Kopf.
Letztendlich bin ich doch aufgestanden um ihm zu helfen. Im selben Moment ist er wie ein neugeborenes Kalb aus seiner Hängematte gefallen. Ich hab ihm aufgeholfen, er zitterte. Ich führte seine Hand an ein nahe gelegenes Fass, er stabilisierte sich und dann fing er erstmal an, mitten aufs Deck zu schiffen. Nachdem er sein Geschäft verrichtet hatte, tastete er wieder nach der Hängematte, die ich ihm dankenswerterweise entgegenhielt, auch weil ich kein Interesse hatte, ihn gleich aus seiner eigenen Pisse rauszuziehen. Ebenso geschickt wie er aus der Hängematte rausgefallen ist, fiel er auch wieder hinein und schlief ein.
Über Gasflaschen und Kuna Frauen
Wir legten am nächsten Tag im Kuna Hauptdorf an, sollten dort drei Nächte rasten und anschließend weiter Richtung Norden fahren. Der Alltag auf dem Boot war eigentlich recht spannend. Wir hielten an unzähligen kleinen Inseln, luden Kühlschränke, Boote, Lebensmittel, Klimaanlagen und jede Menge Gas ein und aus. Viele Gasflaschen, manchmal über hundert Stück pro Insel. Außerdem fuhr noch ein jüngerer Kuna mit uns, der einen Lift nach Carti brauchte. Das war auch mein Zielort, da es hier die erste Straße gab. So fuhren wir also mehrere Tage von einer Insel zur anderen und verkauften Gas an die Kuna.
Es war total interessant und ich geniesse solche Erlebnisse viel mehr, als mir irgendeine Touriattraktion anzuschauen. Hier ist das Geschäft. Hier ist das Leben. Einkaufen, verkaufen. trubeliges Hafenleben. Scherzen und Handeln. Wenn ich sehe, wie die Menschen ihren Alltag bestreiten. Wenn ich meine Crewmitglieder beobachten kann, wie sie mit ihren Verwandten umgehen.
Vorallem die Kuna Frauen fand ich irgendwie aszinierend. Ihre traditionelle Bekleidung besteht aus einem kurzen Rock und einer bunten Bluse, sowie Kopftuch, Nasenpiecring und einer besonderen Art geringelter Stulpen über den Beinen. Generell kamen mir die Kuna Frauen sehr stolz vor. Die waren auch die, welche sich um das Geschäft gekümmert haben, während die Männer nur rumlungerten. Ich hab keine Ahnung von dieser Kultur und bin jetzt auch zu faul zum nachlesen, aber dieser Stolz und diese Selbstsicherheit der Kuna Frauen fand ich irgendwie sehr sexy und ungewöhnlich.
Wir erreichten schließlich Carti. Der freundliche Kapitän und einige andere (sowie ich) gingen von Bord. Es stand eine Lancha bereit, die uns 3 km zum Ufer bringen sollte, wo dann die eigentliche Straße began. Ich hatte das Darien Gap überwunden. Nun lag ganz Nordamerika vor mir. Bereit zur Erkundung. Dies ist wohl die zweischwierigste und zweitwichtigste Passage meiner Reise gewesen. Geschafft! Kann ich einen Haken dran machen. Ich war sehr erleichtert und glücklich.
Anschließend ging ich umgehend los. Es lagen mehrere Tausend Kilometer Tramptour durch Südamerika vor mir. Ich sollte erstmal bis Guatemala kommen und von dort aus dann Richtung Mexico weitermachen.
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