Nach dem katastrophalen aber höchst unterhaltsamen Blockadetag in Peru machte ich mich auf nach Juliaca um dort einen Güterzug zu hoppen. Hatte das noch nie zuvor gemacht, aber einen Kontakt zu einem Amerikaner gefunden, der genau die Strecke schon gemacht hat. Ich war äußerst angefixt, seit über einer Woche konnte ich an nichts anderes mehr denken, als auf diesen vorbeifahrenden Güterzug aufzuspringen. Dies war endlich mein Tag! Los geht’s.
Schon wieder blockieren, Jungs? Muß dat sein?
80km nach Juliaca. Nicht weit. Sollte ein Kinderspiel werden. Ich deckte mich in einer Bäckerei mit allen möglichen süßen Sachen ein und durchquerte Puno. Aber wieso waren hier schon wieder so auffallend wenige Autos? Und da stehe schon wieder Leute. „He, ist das ne Blockade?“ „Ja, bis heute Nacht um 12.“ „Oh shit, immernoch?“. Ich dachte die hätten nur am Tag vorher blockiert. Na super. Aber war ja nicht weit und anscheinend fuhren auch Busse, also muss ja Verkehr sein.
Morgenspaziergang durch Puno. Erstes Auto, ein Pick-Up voller Gringos, hält sofort an. Vier Amis die nach Cusco fahren. Das liegt nochmal 300km hinter meinem eigentlichen Ziel. Gelungener Tramptag! Ich saß hinten auf der Ladefläche und genoss die Landschaft. In Juliaca haben wir an einem Rondell angehalten und die Jungs haben sich erstmal eine Runde Eis gegönnt. Es klopft an der Scheibe, ob ich denn auch Eis wollte…klar! Wir haben dann noch eine peruanische Oma eingeladen und sind in das nächste Dorf gefahren um dort Mittag zu essen. Mega peinlich: Beim Aussteigen Gruppenfoto mit der Oma. Der war das sichtlich unangenehm. Mir auch.
Ansonsten keine Blockaden bis Juliaca. In Juliaca vereinzelt kleine Feuerchen, eine Demonstration, gesperrte Hauptstrasse und ansonsten recht viel Polizei. Meine Informationen zu dem Güterzug bezogen sich auf einen Ort 80km nördlich von Juliaca in Richtung Cusco. Kann ich eigentlich auch dahinfahren, dachte ich mir. Juliaca war eine dreckige Großstadt, die im Blockadechaos versank und mit der ganzen Polizei und dem überwachten Bahnhof, hatte ich mehr Chancen in Ayaviri.
Als wir da ankamen konnte ich mich fast nicht mehr halten vor Adrenalin. Aber noch mindestens acht Stunden Zeit. Also erstmal Internetcafe, Mittagessen und Streckenobservation. Wo sind gute Punkte zum Aufspringen, wo hängen Leute ab, wo kann ich mich ggf. verstecken. Den ganzen Ort durchquert und Informationen gesammelt. Alles fotographiert. Habe mir noch eine Daunenjacke (ohne Ärmel) gekauft, da es in der Nacht -5° werden sollte, mit Fahrtwind ziemlich kalt und ich wollte wenigstens noch irgendwas Warmes haben, neben meinem normalen Equipment. Es war gegen vier Uhr, der Zug war angekündigt zwischen acht und halb elf.
Warten auf den Zug
19:55 Uhr. Fünf Minuten vor der Zeit ist des Soldaten Pünktlichkeit. Ich hatte Wasservorrat angelegt, paar Kekse, eine Schachtel Zigaretten und drei Päckchen Streichhölzer in der Tasche. Jetzt muss nur noch der Zug kommen. Am Bahnhof war niemand anwesend, ich setzte mich auf meinen Rucksack und rauchte eine Zigarette. Vorher hatte ich noch mein gesamtes Equipment umgepackt. Den Laptop mitten in den Rucksack, nicht wie sonst oben drauf. Sollte für alle Eventualitäten vorbereitet sein. Dunkle Klamotten angezogen. Alles was warm war hatte ich an, oder griffbereit gepackt. Jetzt warten.
Mit jedem LKW oder Auto was in der Ferne gehupt hat, bin ich aufgeschreckt. War das der Zug? Ich war so auf 180°. Später am Abend wurde es sehr kalt und ich fror erbärmlich, hatte ernsthafte Bedenken bekommen, ob das bei den Temperaturen auf einem fahrenden Zug eine gute Idee ist, insbesondere weil in Peru keine Box-Cars sind und die fahrt unter offenem Himmel geschieht. Ich lernte Schattenboxen zur Erwärmung. Aber was auch half war: Hupen. Immer wenn ich fror und sich ein vermeintlich ankommender Zug ankündigte, war mein Körper sofort in Alarmbereitschaft, Adrenalinstoß und ich fror nicht mehr. Interessante Erfahrung.
Krumme Dinger Nachts am Bahnhof
20:30 Uhr. Am ansonsten menschenleeren Bahnhof ist Bewegung. Drei Menschen überqueren die Gleise, ca. 100 Meter rechts von mir. Sie bleiben stehen. Sehen mich. Flüstern. Sie drehen um und gehen einen anderen Weg. Was war da los? Auf jedenfall nicht mein Business, wenn die da was krummes drehen wollen. Ich hab meinen Rucksack genommen und bin weggegangen. Als ich weg war, haben die drei sich wieder ihrem ursprünglichen Objekt der Begierde zugewandt. Was auch immer das war. Sehr mysteriös.
Ich drehte eine Runde. Prinzip beim Aufsprung auf den Zug, dass du von niemandem gesehen wirst. Das ich mir dazu gerade die Plattform am Bahnhof des Ortes ausgesucht hatte, mag nicht besonders klug erscheinen, aber sollte passen. Als ich von meiner Runde zurückkam stand ein Mann auf den Gleisen. Ohne Regung. Ich bin mitten auf der Straße stehengeblieben. Ohne Regung. Nagut, wenn er für die Jungs scoutet, während die ihr Ding drehen, muss ich eben warten. Geraucht, ihn angeschaut. Keine Kommunikation. Gewartet.
Irgendwann lief dann eine Dame an mir vorbei. Ein Liebespaar, dass über den Bahnhof schlendern wollte. Also kein Schmiere stehen für die Sabotage. Ich sollte an dem Abend noch mindestens drei Liebespaare durch meine Anwesenheit abschrecken. Immer das gleiche Spiel, ein verstohlener Blick um die Ecke „oh, da ist ja jemand“ und auf einmal drehen sie um und gehen weg. Aber das war meine Nacht. Ich wollte einen Güterzug hoppen. Kein Platz für Liebe.
Alles voller Ordnungskräfte
21:30 Uhr. Immernoch kam kein Zug. Dafür aber neue Freunde. Zwei Menschen in gelben Jacken kamen langsam auf mich zu. Sie kamen aus der Dunkelheit. Plötzlich eine Trillerpfeife. Ich bleibe unbeeindruckt stehen. Polizei. Super, kann ich genau jetzt gebrauchen, wo ich doch illegal auf einen fahrenden Güterzug aufspringen will. Sie kommen auf meine Höhe und machen keine Anstalten mit mir zu reden. „Buenos noches.“, sage ich. „Hallo, was machst du denn hier?“ Ah scheiße…brauch ne Ausrede…..naja……ich will den Zug sehen !! (stimmte ja auch) und äh…..treffe mich dann noch mit einer Freundin. Das zog schon irgendwie, ich strahlte ja auch die absolute Ruhe aus. So kleine Zwischenfälle sollten mich nicht an meinem Hauptprojekt hindern. Wieso ich denn im Dunkeln stehe? Ich solle doch lieber ins Licht gehen, weil hier schlechte Menschen rumlaufen. Ob mir irgendwas aufgefallen wäre? Ah ja, da ware drei Menschen, haben irgendwas gemacht ja. Ja schlechte Menschen….Deliquenten, stell dich mal lieber ins Licht.
Dann verschwanden sie. Irgendwas unverständliches von 20 Minuten geredet. Wusste aber nicht, ob die in 20 Minuten wiederkommen würden. Was mach ich, wenn der Zug kommt und die gerade da sind…..trotzdem aufspringen? Ich überlegte den Ort zu wechseln, aber wartete erstmal was passiert. Als die beiden auch in den nächsten 90 Minuten nicht mehr aufkreuzten, wähnte ich mich sicher.
23:20 Uhr, bitterlich kalt, ich war in der dritten Runde Schattenboxen. Sowohl ich als auch Gegner noch frisch. Müdigkeit machte sich ab und an bemerkbar und es gab Sekunden, an denen ich ein Schwindelgefühl feststellte. Es fröstelte. Wie sollte das nur auf dem Zug werden? Im Hintergrund hörte ich immer wieder Trillerpfeifen, die mal näher und mal weiter weg zu hören waren. Offensichtlich waren mehrere Streifen unterwegs.
Herzlich willkommen Mr. und Mrs. Kegel!
23:35 Uhr, ich höre jemanden die Straße herunterkommen. Es trillert. Ich befinde mich gerade im hellen und schaffe es nicht mehr rechtzeitig in meinen Schatten. Ich werde gesichtet. Diesmal nicht die beiden gelben Jacken, sondern zwei Poncho tragende Menschen mit Basecaps. Sie sahen aus wie zwei Kegel. Die Beiden bleiben stehen, Starren, keine Regung, kein Wort. Ich laufe langsam im Kreis, versuche mich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. Was wenn jetzt der Zug kommt? Ich konnte an nichts anderes denken. Dann ein weiterer Pfiff. Darauf folgt wieder regungsloses Starren. Und plötzlich stürmen drei Hunde auf mich zu! Zwei waren feige Pisser, einer aber ziemlich aggressiv, lief um mich herum, Zähne fletschend, bellen. „Ja ruhig, is ja gut mein kleiner, was ist denn los?“ Die beiden Kegel bleiben regungslos stehen und starren.
Die Hunde waren wahrscheinlich Straßenhunde, die einfach mit auf Streife laufen. Mittelgroße Hunde, sahen aus wie kleine plüschige Bettvorleger. Eher was zum knuddeln als Polizeihunde. Aber nervig. Ich lief weiter im Kreis. Die beiden Kegel setzten sich auf eine nahe gelegene Bank und beobachteten mich. Alle fünf Minuten mal ein Pfiff mit der Trillerpfeife. Leichtes Flüstern, ansonsten keine Regung. Zwei regungslose Kegel mit drei Plüschhunden und ein Gringo der mit einer Zigarette in der Hand, der stoisch im Kreis läuft. Nächtliche Bahnhofsszenen in Peru. Hätte davon gerne ein Video gehabt.
Irgendwann hatten auch die beiden Kegel genug von meiner Kreisbewegung und machten sich mit ihren drei nervigen Töhlen auf den Weg zu neuen Abenteuern. Ich fror mitlerweile bitterlich. 23:50 Uhr, der Zug lag fast zwei Stunden hinter der offiziellen und mehr als eine Stunde hinter der inoffiziellen Ankunftszeit (ca. 22:45 Uhr hatte mein Amifreund den Zug geentert). Zeit zum aufgeben…ein hupen…Adrenalin…..Zug….ne, doch kein Zug. Eine letzte Zigarette und dann ab in die Stadt. Was eine Enttäuschung. Ich fand ein 2,20€ Hotel und zog die Decke über den Kopf, weil ich so durch gefroren war. Vielleicht eine glückliche Fügung, dass der Zug nicht kam. Temperaturtechnisch wäre das Hardcore geworden. Aber das hole ich auf jedenfall in den USA nach!
Nach der Niederlage ist vor der Niederlage
Am nächsten morgen gepackt….und da war diese Daunenjacke. Ansich ne schöne Jacke, hatte ich für 30 Sol (ca. 7€) gekauft, allerdings bringt die meine Packtechnik durcheinander. Feststellung: Ich kann mit neuem Equipment nicht umgehen, da meine bestehende Ordnung dadurch verändert wird, selbst wenn es ein nützlicher Gegenstand ist. Gleiches gilt im Gegenzug, wenn ich Gegenstände verlieren sollte, oder Sachen kaputt gehen. An meiner Stomaticum Zahnpasta drücke ich nun schon seit über einem Monat die letzten Reste raus. Diese kleine, effiziente Zahnpasta gibt es hier nicht zu kaufen und ich sträube mich eine andere zu nutzen. Aber auch die wird irgendwann vollends leer sein und ich muss mich dem stellen. Auf jedenfall hänge ich an meinem kleinen zu Hause mit all seinen Einzelteilen. Ähnlich wie Kapitän Chris immer auf Erhalt bedacht.
Aber da war erstmal diese Daunenjacke. 30 Sol…..zu geizig um darauf zu scheißen. Also zurück zum Markt gelaufen und die Jacke wieder verkauft. Nach einigen Gesprächen zwei Kunden gefunden. Peruaner. 20 Sol….guter Preis…ja guter Preis, pflichteten mir auch die beiden Damen an den Ständen bei. Deal. Beim trampen das erste Auto gestoppt. Leider falsche Richtung gefahren. 150 Meter später steht der gleiche Kerl an der Tankstelle. Fängt an mit mir zu reden und ähnlich wie mein Lift am Blockadetag, zückt er mit offensichtlichen Vorfreude und Nächstenliebe 10 Sol und hält sie mir hin. „Nene, brauch ich nicht.“ „Doch doch, kauf dir essen davon.“ „Ne brauch ich nicht….nagut, danke!“ Alle zufrieden und ich hatte meinen Jackenverlust kompensiert.
Von der Menschheit betreten
Auf dem Weg aus Ayaviri an diesem Morgen hatte ich noch eine ziemlich verstörende Entdeckung gemacht. Ich überquerte den Fluß. Da schwamm irgendwas, sah im ersten Moment aus wie ein Bieber. Ich blieb stehen und erkannte, dass es ein Hund war. Ein toter Hund. Ansich nichts besonderes. Bei näherer Betrachtung sah ich allerdings einen Strick um seinen Hals und an dem Strick hing ein Stein. Der Hund bewegte sich im Strom des Flusses nach links und rechts und währenddessen gingen mir einige Dinge durch den Kopf. Das ganze machte mich ziemlich traurig. Wieso machen Menschen sowas? Auf der anderen Seite ist es leider Realität, dass nicht jedem Mensch Leben und Lebewesen etwas bedeuten und sich dann solche abartigen Sachen zeigen. Auf meinem Weg nach Cusco beobachtete ich außerdem zweimal am Straßenrand, wie Leute ihre Tiere (Schafe, Lamas) getreten und geschlagen haben, weil diese sich nicht bewegen wollten.
Insgesamt ein etwas aufwühlender Tag. Eine Kanadierin im Hostel eröffnete mir später die etwas ertragbarere Version, dass der Hund nicht von irgendwelchen Assis zum Samstagabendspaß umgebracht wurde, sondern vielleicht gefährlich war und deswegen irgendwer das gemacht hat. Keiner weiß es. Das Bild bleibt trotzdem vorhanden, von dem Hund, dem Strick und den Bewegungen im Wasser. Ich hab auch ein Fotos gemacht, aber das erspare ich euch.
Zum Abschluß
Tramptag nach Cusco verlief entspannt, ohne größere Ereignisse. Eigentlich wollte ich klettern in Huaraz, aber durch die gescheiterte Operation „Güterzug hoppen“ fühle ich eine innere Unruhe. Ich brauche mal Abwechslung. Ich werde wohl die 4000km Mittelstrecke nach Bogota/Kolumbien ohne Pause trampen und mir da dann ein Fahrrad zulegen um Kolumbien zu durchqueren. Plan: Ich such mir irgendeine rostige Möhre für 20€, kauf mir ein paar Radtaschen und knall dann die 800km zur Küste hoch. Ich sehe schon die Fahrradreisenden mit ihren 3000€ Hightech-Rädern grüßend an mir vorbeiradeln. Auch daher hab ich Bock den Weg auf einem richtigen Schrottrad zu fahren. In your face! Aber wenn ich müde werde, kann ich immernoch mit Fahrrad trampen. Bin ja schließlich Tramper und kein Radfahrer.