Ich war also endlich in Venezuela angelangt. Alle Papier waren abgestempelt. Das Wasser hinter mir gelassen und endlich nur noch 8000km solide Straßen (mit einer Ausnahme) zwischen mir und meinem ersten Ziel Uruguay. Ich sollte Venezuela recht schnell hinter mir lassen. Vielleicht etwas zu schnell. Ich wusste, jetzt geht es los und meine erste Aufgabe würde darin bestehen eine Karte zu bekommen. Karte, Wasser und etwas Klopapier, mehr brauch man eigentlich nicht. Der Rest findet sich auf dem Weg. Hauptsache Meter machen und endlich wieder auf der Straße sein.
Ich trat aus dem zwielichten Immigration-Office und wie es der Zufall wollte, hielt ein weißer Chevrolet vor der Tür und zwei Männer, die mir auf dem Boot schon aufgefallen sind, stiegen aus, um sich ihre Pässe abzuholen. Mein erster Lift fand mich! Wir fuhren los. Der Beifahrer war Kroate und der Fahrer Venezuelaner. Er fuhr schneller als alle anderen, mir war das nur recht. Ich wusste nicht wohin es ging, da ich noch keine Karte hatte, aber sie versicherten mir, es sei auf dem Weg. Außerdem lief wunderbare Latinomusik und ich konnte meine ersten Kilometer Südamerika mit erstaunen und entzücken geniessen.
Die Fahrt dauerte mehrere Stunden und als wir in Carupano ankamen, war es bereits dunkel. Zu meinem verwundern lag die Stadt direkt am Meer, direkt im Piraten- und Drogenschmuggelgebiet. Der Strand war voll mit Reifen und Wrackteilen. Ein morbider Charme hing an diesem Ort. Zerfallen und etwas abgefuckt, aber freundlich. Ich mochte es. In einem Internetcafe druckte ich mir als allererstes meine Route nach Brasilien aus. Dann endlich, Nachttrampen. Darauf hatte ich so lange gewartet.
Venezuelanische Nächte sind lang
Aber….die Freude währte nicht lange, da ich schon auf dem Weg zu meiner Straße von Venezuelanern abgefangen wurde, die mich ungläubig anstarrten, mich in ihr illegales Strandhaus verschleppten, wo die ganze Familie mich ungläubig anstarrte und mich letztendlich in der örtlichen Busstation absetzte, nahe des Internetcafes. Ich solle nicht trampen nachts, das wäre gefährlich, Favela, Pistolen und so weiter. Kopfschütteln. Ich war etwas angenervt, weil ich so viel Weg umsonst gelaufen bin und ging wieder los. Es war noch nicht spät und relativ viel Verkehr auf den Straßen.
Nachdem ich dem Internetcafe einen weiteren Besuch abstattete, um meinem Ärger über die venezuelanische Besorgtheit Luft zu machen, stapfte ich trotzig in die Nacht auf dem Weg zu meiner Straße. Ich bin ca. eine Stunde gelaufen, traf ein paar russische Kapitäne, die mich noch ein Stück mitnahmen und stand dann endlich an der Ruta 10 die runter zur brasilianischen Grenze führt. All the way this street.
Das dritte Auto hielt an. Geländewagen mit drei Menschen. Wir fuhren ins nächste Dorf, wieder wurde ich verschleppt zu einer anderen Familie, weil der Vater Deutsch sprechen würde. Es stellte sich heraus, dass er ein ehemaliger Touristenguide war, der etwas deutsch und perfekt englisch konnte. Wunderbar. Ich bekam meine Karte, erklärte meinen Weg und sie offerierten mir einen Schlafplatz bei einem der Geländewagenmenschen. Es kostete mich etwas Überwindung diesen anzunehmen. Ich wollte ja schließlich weitertrampen. Aber da noch soviel Weg vor mir lag, wollte ich es eher ruhig angehen und stimmte zu. Es sollte eine von drei Nächten sein, die ich nicht auf der Straße verbringen würde für die nächsten zwei Wochen.
Letztendlich war es dann ein sehr schöner Abend, mit etwas Brandy, gebrochenem Spanisch und jeder Menge Spaß. Ich schlief vor dem Haus auf meiner Isomatte und zum Sonnenaufgang sollten mich meine Gastgeber 40km weiter zur nächsten Kreuzung bringen.
Am morgen wieder auf der Straße, endlich sollte es losgehen. Trampen in Venezuela war nicht so einfach wie gedacht. Zumindest stand ich nach meinem ersten Lift eine ganze Zeit an einer großen Kreuzung. Genug Zeit um mich mit etwas Essen aus den nahe gelegenen Straßenküchen zu versorgen und mir den Trubel und die Menschen anzusehen. Irgendwann fing ich dann an zu laufen, wie immer. Auf der Suche nach etwas Schatten.
Der Langstreckenlift
Nach einiger Zeit fuhr ein Kleinlastwagen mit offener Ladefläche an mir vorbei und hielt ca. 100m hinter mir. Ich hab es erst nicht gemerkt und ich sah schon winkende Hände am Horizont. Ich stieg auf, es war keinerlei Begrenzung zwischen der Ladefläche und der Straße, es stand bereits ein anderer Mensch hinten am Fahrerhaus, ich gesellte mich zu ihm, hielt mich am Dachgepäckträger fest und wir brausten los. Fast zwei Stunden stand ich auf der Ladefläche, versuchte mit meinem neuen Buddy in schlechtem Englisch und starkem Fahrtwind zu kommunizieren. Plötzlich entdeckte ich…..Berge, Wälder und tropische Vegetation. Die Landschaft war wunderschön, erinnerte mich an Asien/Myanmar. Die Fahrt fing an mich zu begeistern.
Pick-Ups gehören generell zu meinen Lieblingsfahrzeugen. Auf den Ladeflächen ist man unter freiem Himmel und kann die umliegende Landschaft im 360° Panorama betrachten, wenn gewollt und möglich (je nach Fahrstil hat das Festhalten manchmal Priorität). Ich war sehr glücklich mit meinem Lift und verliebte mich in den venezuelanischen Norden. Es existieren diese Momente der absoluten Glückseeligkeit während des Trampens. Dies war einer davon.
Im Auto selbst saßen zwei Frauen, der Fahrer und ein Kleinkind, welches das Kind meines Ladeflächen-Buddys war, wie ich später herausfinden sollte. Die Kleinfamilie wurde auch alsbald in irgendeiner Stadt abgeliefert, wir luden einige Gepäckstücke im Haus aus, machten noch ein Foto mit dem Mann in dem komischen gelben Anzug und fuhren davon. Wohin eigentlich? Südlich von Ciudad Bolivia wird die Reise hingehen, also halbe Strecke bis zur Grenze. Wow, Langstreckenlift, insgesamt sollte ich 9,5 Stunden in diesem Lift verbringen.
Militärische Tramphilfen
Wir landeten gegen Abend in Upata und ich war wiederrum begierig darauf, endlich die erste Nacht in Venezuela trampen zu können. Mein Lift lud mich aufgrund von Sicherheitsbedenken direkt an einem Armeekontrollpunkt ab. Am Tisch saßen drei Männer in Uniform und sie erzählte ihnen meine Geschichte. Mir wurde ein Stuhl gebracht, ich solle mich hinsetzen. Mir war nicht klar was vor sich ging, also nahm ich erstmal Platz und beobachtete was passieren würde. Ständig kamen Kleinlastwagen mit Papieren zum abstempeln. Mal legte jemand ein Bündel Geld auf den Tisch und verschwand oder ein anderer legte zwei geköpfte Hühner neben den Tisch und fuhr durch die Kontrolle.
Nach einer Stunde und sehr viel Verkehr war meine Geduld am Ende und ich versuchte den ranghöchsten der Wachleute zu erklären, dass ich nun lieber ins Dunkel hinter dem Kontrollposten möchte, um dort weiterzutrampen, bevor der üppige Verkehr abnimmt. Er verstand es nicht und deutete mir an, dass ich da warten sollte und ein Bus kommen wurde. Ein Bus, mein größter Alptraum. Ich möchte keinen Bus nehmen, ich bin am trampen. Ich war etwas frustriert und überlegte, wie sich eine bezahlte Busfahrt in meine Trampstatistik einbauen liese. Danach ging ich erstmal ein Bier trinken, zwei und aß etwas in einer nahe gelegenen Kneipe.
Nach ca. zwei Stunden kam der Moment der Wahrheit. Ein Bus hielt an ins 550km entfernte Santa Elena, den letzten Ort vor der Grenze. Ich wurde zwangsverfrachtet in den Bus und der Bus wurde gezwungen mich mitzunehmen. Win-Win-Situation…nicht ganz. Trampen im Sozialismus halt. Mir war erst nicht klar, ob ich bezahlen müsste oder nicht. Aber ich sollte den Lift umsonst bekommen und mein Gemüt beruhigte sich etwas. Das ist dann technisch gesehen getrampt.
Mein schlechtes Gewissen in einem Bus umsonst mitzufahren, legte sich auch kurz nachdem ich im Inneren angekommen war und noch nichtmal einen Sitzplatz auf dem Fußboden zu ergattern war. Also stehen. Die Reiseleiterin war auch sichtlich angenervt von meiner Präsenz. Ich versuchte die ganze Situation entspannt zu betrachten. Das war nicht sehr einfach. Hinter den Fahrern war eine Box in der Busmitte platziert, die alle Mitfahrenden mit viel zu lauter Latinomusik terrorisierte und zusätzlich bei jedem Basston in blauem Licht erstrahlte. Ich hatte mir irgendwann einen Platz auf dem Boden organisieren können und saß direkt vor der Box. Es war schrecklich.
Die Busfahrt war ungemütlich und grausam. Aber wir waren die ganze Nacht unterwegs und ich sollte am nächsten morgen die Grenzstadt erreichen. Wir erreichten das Busterminal, ich befand mich mitten im Amazonasgebiet, verließ meine Reisegesellschaft und wunderte mich….wo waren die Bäume? Venezuelas Süden besitzt offensichtlich keine Vegetation mehr. Keine Bäume, keine Büsche, es ist mir immernoch unerklärlich, was dort passiert ist.
Grenztragödien
Nach 1,5 Stunden laufen am Morgen in der freundlichen Äquatorsonne fand ich endlich meinen letzten Lift am Ortsausgang Santa Elena in Richtung Grenze. Die Grenze sollte mich nochmal fünf Stunden kosten. Es stand dort ein kleiner Container herum, der für die Immigration aufgestellt wurde. Viel zu klein und viel zu viele Menschen. Die Schlange war ca. 50m lang. Nach fünf Stunden sollte ich erfahren, dass dies die Schlange für die Einreisenden ist und Ausreisende an der anderen Tür stehen sollten. Gut organisiert alles.
Die Wartezeit war trotzdem überaus amüsant, weil sich in der Schlange eine kurzweilige Gemeinschaft konstituierte, die von allerlei Skandalen erschüttert wurde. Einmal ist die Ordnung der Schlange auseinander geraten. Die Leute standen nicht mehr an ihren alten Positionen, es wurde diskutiert, geschimpft, geflucht und ich stand immer im Mittelpunkt, weil der Deutsche in seinem gelben Anzug so eine gute Orientierung abgab. Leute beschwerten sich, weil ich jetzt vor Ihnen stand, andere wurden angewiesen hinter mich zu treten. Es existierte quasi die Schlange vor und die Schlange hinter mir.
Daneben versuchten regelmäßig hilflose, alte oder resolute Damen mit schauspielerischer Glanzleistung direkt am Container Stempel zu bekommen. Einmal beobachtete ich eine Frau die ihr Kleinkind instrumentalisierte und so versuchte als nächstes dranzukommen. Der Mob tobte! Alle schauten zu, schimpften und schrieen abermals und es brach johlender Applaus aus, als sie von der zuständigen Grenzbeamtin weggeschickt wurde. Immer was los an der venezuelanischen Grenze.
Irgendwann hatte ich auch endlich alle nötigen Papiere und trottete nach Brasilien. Mit mir ein Pole der auf dem Fahrrad seit einigen Jahren um die Welt zog und drei brasilianische Backpacker, die sich gerade die berühmten Angel Falls in Venezuela angeschaut hatten.
Next stage Brazil
Insgesamt 42 Stunden für 1080km durch Venezuela. Ich war ganz zufrieden. Es ist nicht viel passiert und ich konnte die Passage schnell bewältigen. Brasilien lag vor mir und ich ging motiviert an die Restlichen 7000km. Nachdem ich mich mit Wasser, Schokomilch und ein paar Panadas eingedeckt hatte…..
Herrlich dieser Impuls sich in die falsche Schlangen einzureihen. Das Schimpfen auf scheinbar fehlende Ordnung – so deusch- ich komm aus dem Grinsen nicht raus. Schöne Beschreibung der venezolanischen Landschaft, weckt Erinnerungen.