Irgendein Mensch in Almaty, schüttelt meine Hand: “Willkommen in Kasachstan!”, gefolgt von einem “Autostop?”. Verwunderung. Wie er darauf kommt? Er zeigt auf meine Uniform. Es war das erste mal in meinem Leben, dass mir ein unbekannter Mensch auf der Straße begegnet ist und meinen Tramperanzug erkannt hat. Es ist ja nicht nur ein Anzug, sondern Kennzeichen einer alternativen Trampkultur, die vorallem in Rußland und den Staaten der ehemaligen UDSSR bekannt ist. In Deutschland eher weniger. Hier in Kasachstan scheinen die Menschen es aber zu kennen. Und ich hab mich an diesem Tag sehr gefreut, dass mich jemand als Tramper erkannt hat.
Es war das Ende meiner China Expedition. Ein 15.032 km langer Trip mit 86 Lifts, um die vier Ecken von China abzutrampen. Nach 16 Tagen und 11 Stunden hatte ich es geschafft. Es war eine lange und anstrengende Route. Ich musste viele Herausforderungen bewältigen. Schwierige Passagen überwinden, Probleme lösen, sich an unbekannten Orten orientieren und in Bewegung bleiben. Das erfordert Erfahrung und taktisches Geschick. Und was ihr auch bedenken solltet: Wenn ihr eine 15.000 km lange Route trampt, dann heißt das auch, dass ihr 15.000 km in Autos sitzen müsst. Das kann körperlich ziemlich auslaugen.
Zusätzlich hab ich noch ein weiteres Detail zu dieser Tour hinzugefügt: Ich bin ohne Geld gereist. Ich kam in China an und hatte ca. 30€ in meiner Tasche. Am Ende waren es 33€. Es war ein Experiment. Wie weit kann ich gehen? Was ist möglich ohne Geld. Im Grunde lebt man komplett von der Wohltätigkeit anderer Menschen, wie ein Mönch. Ich hab allerdings nie aktiv nach Sachen gefragt. Leute haben es mir alles angeboten. Selbst als ich wirklich hungrig war, forderte ich nichts ein und bin einfach mit mir und der Situation verweilt. Für die Erfahrung und als zusätzliche Herausforderung. Aber ich mag Reisen ohne Geld nicht wirklich. Es kann sehr anstrengend sein. Nicht mein Stil. Lenkt mich von meinem eigentlichen Fokus ab, meine Route so schnell wie möglich zu trampen.
In meinem Selbstverständnis besuche ich nicht China, sondern bin auf meinem Weg, einer Straße, die diesmal zufällig durch China hindurch führt. Wenn ich Langstreckentrampen gehe, dann kann man das am ehesten mit einem Fahrradreisenden oder gar einem Randonneur vergleichen. Oder mit Menschen die laufen. Um die ganze Welt. Wie zum Beispiel Karl Bushby. Karl ist ein britischer Abenteurer, der 1998 sein zu Hause verlassen hat, um von der Südspitze von Südamerika zurück nach England zu laufen. 16 Jahre später hat er 29.000 km zurückgelegt und ist immer noch unterwegs. Seine größten Errungenschaften waren sicherlich die Überwindung der Beringstrasse zu Fuß, sowie die Durchquerung des Darien Gaps. Seit einigen Jahren kämpft er mit den russischen Behörden und Genehmigungen um seine Tour durch Sibirien fortsetzen zu können. Karl hat allerdings eine unmenschliche Ausdauer seiner Mission zu folgen. Ich bewundere das.
Meine 15.000 km durch China waren zweifelsohne eine große Herausforderung und ich kam mehrmals an meine persönliche Grenze, während dieser Tour. Ich kann nun immer besser nachvollziehen, was es bedeutet, eine „Langstrecke“ zu trampen. Und umso beeindruckt mich Alexej Vorovs „Very small planet tour“. Alexej hat eine komplette, Überland Erdumrundung mit Trampen gemacht. In 500 Stunden. Das heißt 20.000 km in 21 Tagen. Ich kann euch aus eigener Erfahrung sagen, dass das eine starke Leistung ist. Es geht nicht nur ums Trampen. Aber so eine Distanz, in dieser Zeit, das muss man erstmal sitzen. Schwerstarbeit für den Rücken. Kann man sich nicht wirklich vorstellen.
Dieser Mann jenseits der 50 Jahre ist die ersten 9.900 km durch Russland in 168 Stunden getrampt. Das sind knapp 7 Tage auf der Straße, ohne Schlaf auf seiner Hausstrecke. Das ist abartig schnell und wahrscheinlich unschlagbar (vorerst). Rein physisch für mich nicht machbar und ich habe högschten Respekt vor dieser Leistung. Überflüssig zu erwähnen, dass er natürlich auch den Rest der Route in seinen angepeilten 500 Stunden geschafft hat.
Und es ist mitnichten eine Frage von Glück. Es geht um Problemlösung, Orientierung in unbekannten Gebieten, taktieren bei der Routenwahl, die richtigen Entscheidungen treffen und Fehler vermeiden. Tramperskill. Ich hab schon einige lange Touren hinter mir, aber auch in China waren wieder viele Passagen, wo ich Fehler gemacht habe und rückblickend mehr über meine eigene Bewegung lernen kann. Ich weiß nicht, ob ich 20.000 km in 500 Stunden schaffen würde. Es ist definitiv eine beeindruckende Leistung.
Was wir Bewegungsfetischisten alle gemeinsam haben ist die direkte Erfahrung, dass unsere Welt eben nicht unendlich groß, sondern eher ziemlich klein erreichbar ist. China direkt um die Ecke von meinem zu Hause und die Einflusssphären der St. Petersburger Tramperszene reichen bis nach Süd-Ost Kasachstan. Natürlich braucht man Schneid um solche langen Strecken zu meistern. Aber es spielt keine Rolle ob ich trampe, laufe oder Fahrrad fahre, letztendlich geht es immer darum den Weg zu gehen. Die Distanz zu überwinden.
Meine Uniform ist maßgeschneidert von Alexej Vorov, wie alle Anzüge dieser Art die von Trampern in Russland, Weißrussland, Ukraine, Polen, dem Baltikum und eben auch von uns in Deutschland getragen werden. Und wenn dieser Mensch in Almaty mich als Tramper erkennt, dann geht das auch zurück auf Alexej und all die anderen Kollegen, die mit ihren gelben Anzügen auf den Straßen der Welt unterwegs sind. Und wenn ich von einer großen Tour aus China komme und mich jemand auf der Straße als “Tramper” erkennt, dann fühle ich eine gewisse Art von Stolz, Teil von alledem zu sein. Teil all dieser Tramp-Geeks, die die Straßen dieser Welt rocken. Teil einer besonderen Subkultur. Warm Roads für euch alle!
Die Welt ist echt so klein! Letzte Woche hat mir jemand von dem Buch „Giant steps“ erzaehlt und ich dachte sofort, dass ich dir das empfehlen muss 🙂
Ich finde es so cool, dass er durch den Tunnel im Aermelkanal gelaufen ist!
Viel Spass beim Endspurt