Fast eine Woche war ich in Santa Elena. Das ist eine kleine Region in den Bergen von Medellin. Vollgestopft mit Hippies, Ayahuasca, Esoterikern und Traumfängern. Ich fand es ganz nett da. Überall Holzhäuser, viel Wald und alle waren irgendwo zwischen entspannter Naturverbundenheit und den hardcore Spiritualisten. Mein Plan war dort auszuspannen, bevor meine letzte Fahrradetappe an die Küste beginnt. Das hat mehr oder weniger gut geklappt. Leider war ich an der komplett falschen Seite von Medellin. Das mag erstmal nicht so schlimm erscheinen, aber Medellin liegt in einem Tal umringt von 1000-2000m hohen Anstiegen. Für mich bedeutete das: Einmal runter den Berg und wieder rauf. Zum Glück hat die Stadt eine Seilbahn und ich konnte es aber arrangieren mit Sack und Fahrrad die Stadt auf diese Weise zu durchqueren.
Mein Fahrrad fällt in sich zusammen
Ich kam an meinem Zielort an der Stadtgrenze raus und musste trotzdem noch ordentlich bergauf fahren. Vor mir lag ein 10km langer Tunnel, den ich ansteuerte. Zwar erzählte mir jeder, dass ich da nicht durch kann, aber ich fuhr trotzdem drauf los. Mein Fahrrad hatte ich (mal wieder) reparieren lassen in Medellin. Der Gepäckträger wurde geschweißt und ward endlich stabil und fest. Ich war 1km vor dem Tunnel am klettern und fragte mich schon, wie die Durchfahrt wohl werden wird, als ich ein metallenes Geräusch vernahm. Kam das von mir? Sah alles gut aus. 15m weiter hing mein Gepäckträger auf halb Acht, weil eine der Befestigungsschrauben sich gelöst hatte. Da lass ich es schon Schweißen für 1,50€ und der Herr Schweißer kriegt es nicht hin die Schraube ordentlich fest zu ziehen. Ich musste letztendlich eine Schraube aus meinen selbst gebauten Fahrradtaschen herausnehmen und provisorisch damit den Gepäckträger festmachen. Das sollte in der nächsten Ortschaft repariert werden, allerdings lag eine lange Abfahrt vor mir. Und Abfahrten sind immer purer Nervenkitzel mit meinem Fahrrad.
Das nächste Hinderniss war der Tunnel und schon bei der Anfahrt kam ein sehr aufgeregter Security-Mensch Richtung Straße gelaufen, der wohl gedacht hatte, ich hab das „Fahrrad Verboten“-Schild nicht gesehen. Keine Durchfahrt möglich. Also mit dem Fahrrad einen LKW trampen. Das ging gut. Abfahrt hab ich auch überlebt. Mehr oder weniger. Meine improvisierten Fahrradtaschen waren mit umfuktionierten Kleiderhaken (Model Doppelhaken) am Gepäckträger befestigt. Insgesamt zwei Doppelhaken pro Gepäckbox. Einer der Haken ist mir schon vorher abgebrochen und die andere Hälfte hatte ich auf dieser Abfahrt verabchiedet. Ich musste wieder improvisieren. Eine Schnur sollte vorerst als Ersatz dienen. Eine Motorrad-Werkstatt hat mir die Schraube zum Gepäckträger umsonst befestigt. So war ich als dann gerüstet weiter zu fahren. Um die Gepäckbox sollte ich mich später kümmern.
Es war brütende Hitze, mittlerweile war ich wieder mal im Dschungel angelangt. Antioquia, Provinzhauptstadt. Als ich aus der Stadt herausfuhr, überlegte ich noch, ob ich mir etwas zu trinken holen sollte. Ich war etwas durstig. Aber zu ungeduldig um anzuhalten und beschloß daher, erstmal weiter zu fahren und auf einem der unzähligen Shops entlang der Straße nochmal zu stoppen. Großer Fehler.
Fast verdurstet
Mein Problem war, dass keine gescheite Fahrradkarte mit Streckenprofil besas. Sonst hätte ich gewusst, dass vor mir einer der schwierigsten Anstiege meiner gesamten Route liegt. Ich kletterte also mit dem Fahrrad eine Zeit lang bergauf. Es war heiß und komischerweise gab es hier nichts. Gar nichts. Normalerweise waren noch an jedem Berg irgendwelche Shops, aber hier war einfach nichts. Irgendwann war ich am Ende und schob mein Fahrrad weiter. Das ging recht schnell, um ehrlich zu sein. Ich bin nicht so der Bergspezialist. Insbesondere nicht mit diesem schlechten Fahrrad und 20kg Gepäck auf der Hinterachse.
Auch das schieben wurde nach einiger Zeit zu anstrengend und ich musste eine Pause machen. Völligst geschwitzt, völligst überhitzt und mitten in der Dead-Zone. Wo zur Hölle ist hier der Getränkeverkauf?!? Mir war nach einem kühlen Eistee und auch sonst phantasierte ich über all die tollen Kaltgetränke, die ich jetzt haben könnte. Es half aber alles nichts und ich musste weiter schieben. Langsam wurde mein Mund trocken, die Spucke blieb aus. Mein Kopf muss wohl hochrot gewesen sein. Seit mindestens zwei Stunden war ich schon am Schieben und es erschien auch hinter der nächsten Kurve keine Spur von Zivilisation oder Konsum. Nur am Straßenrand lagen überall die leeren Becher und Flaschen. Achtlos weggeworfen und ich zog ernsthaft in Erwägung nach ungeleerten Gefäßen Ausschau zu halten und eventuell eine dieser Flaschen zu trinken. So schrecklichen Durst hatte ich. Hätte ich doch nur in der Stadt nochmal angehalten. Aber zurückfahren war auch keine Option. Ich fahre nicht zweimal auf demselben Weg….
Irgendwann kam ich an einer Tür vorbei und davor stand ein Moto-Taxi. Dahinter führte ein Weg irgendwohin. Ich konnte nichts erkennen, kein Haus, keine Klingel. Aber das Moto-Taxi war offen. Ich sah meine Chance, spähte in die Kabine und tatsächlich, da war eine undurchsichtige Plastikflasche. Öffnen, riechen….Chlor…..naja, Wasser riecht in Kolumbien nach Chlor, das könnte also Wasser sein. Ein erster Schluck, ja es war Wasser. Lauwarmes Wasser. Ich trank 4/5 der Flasche und stellte sie wieder zurück. Die Erlösung. Ich war so froh und so gierig beim trinken, dass ich mich derbe verschluckt habe und das Wasser wieder in hohem Bogen ausspucken musste. Danach ging mein Weg weiter und der Berg schien kein Ende zu nehmen.
Es wurde langsam dunkel und beschloß ein Auto anzuhalten, um aus dieser Gegend heraus zu kommen. Es ging recht schnell, da hatte ich meinen Pick-Up. Lustig, in Kolumbien scheint das Trampen mit Fahrrad um einiges einfacher zu gehen, als ohne Fahrrad. Wir fuhren noch 10km bergauf, ich war so froh diesen Lift zu haben und diese abartige Steigung nicht laufen zu müssen, und er ließ mich in der nächsten Ortschaft raus. Blitze zuckten am Himmel, ein Gewitter kündigte sich an. Ich kaufte mir ein paar Flaschen zu trinken und checkte dann in das erst mögliche Hotel ein. Zelten bei dem Wetter war wirklich nicht erstrebenswert und nachdem mich dieser Tag so fertig gemacht hat, wollte ich mir etwas Ruhe gönnen.
Liebes Kolumbien, du machst nicht nur mich kaputt, sondern auch mein Farrad
Nächster Tag ging los mit ein paar leichten Steigungen auf der Hochebene, ehe ich nach zwei Stunden Fahrt mal wieder eine Abfahrt erreichte. Meine defekte Fahrradtasche hatte ich im Hotel notdürftig befestigt. Die hatten noch nichtmal einen Schraubenzieher, also musste ich alle Schrauben mit der Hand anziehen. Aber mit Kontermuttern geht das ganz gut. Leider wurde die Straße auf einmal sehr sehr schlecht. Schotterpiste. Das hat mir gerade noch gefehlt. Runter war ich fast langsamer als rauf, weil ich höllisch aufpassen musste, nicht in Schlaglöcher zu fahren oder meine Reifen durch spitze Steine zu zerstören. Ich hörte, dass etwa einen Tag hinter mir zwei Chilenen unterwegs waren. Ebenfalls mit dem Fahrrad. Vielleicht trifft man sich ja noch.
Irgendwann auf der Abfahrt, als die Straße schon wieder besser war, fuhr ein LKW an mir vorbei und ich hörte das gewohnt, klirrende Geräusch. Kam das von mir? Wenig später war klar, ja das kam von mir. Auch der zweite Kleiderhaken meiner schon angeschlagenen Gepäckbox hatte sich verabschiedet. Wieder improvisieren. Ich hatte noch ein Segel-Seil und die Box war anschließend an beiden Enden angebunden. Etwas labil, aber schien erstmal zu halten. Wie ich das fixen wollte, wusste ich nicht. Letztendlich bin ich mit diesem Setup bis nach Turbo durchgefahren. Sah scheiße aus, hat aber sehr gehalten.
Es war vier Uhr Nachmittags und ich hielt an um ein Malzgetränk zu mir zu nehmen. Die hatten überall in Kolumbien etwas, dass „Malta“ hieß. Eine Art Malzbier. Sehr viel Zucker, gute Energie. Ich hatte die großen Berge hinter mir und fuhr schon einige Zeit entlang eines Flusses. Kurzes Gespräch im Dorf, wie es denn weiterginge? Ob es nicht hoch geht? Nein, nein, nur noch leichte Hügel, ansonsten eine ebene Straße. 40km in die nächste Ortschaft. Einer der jüngeren deutete an, dass es noch einmal hoch geht und dann runter, bis in die Ortschaft. Viel hoch? Nein nein, versicherte mir die Oma im Shop. Plano, plano bis zum nächsten Ort. Kein Problem mit dem Fahrrad. Da war ich beruhigt, weil schwierige Berge waren das Letzte, was ich an diesem Tag noch überwinden wollte.
Marco Pantani Gedenkveranstaltung
So entließ sich mich in Richtung des wohl steilsten Anstieges zwischen Medellin und Turbo. 2200m ging es hoch über einen Bergpass, wie ich später erfahren sollte. Nicht nur, dass ich diesen schweren Bergtag zuvor in den Knochen hatte, es war auch schon recht spät, ich müde, aber zum Glück wusste ich nicht, was da auf mich zukommt. Das ist immer ganz gut. So fuhr ich, die Straße verließ das Flußbett, es ging langsam bergauf.
Ich glaube hier war der Moment meiner Fahrradreise, wo ich richtig Klettern gelernt habe. Zwischendurch immer mal wieder Kraft rausnehmen, aber auf jedenfall im Sattel bleiben. Der Anstieg sollte ca. 15-20km gehen. Und ich zog ihn größtenteils an einem Stück durch. Irgendwann fuhr ich in die Wolken und es begann zu regnen, wurde feucht. Der Bergpass schlängelte sich noch ein paar Kilometer auf der Hochebene hin und her, ehe dann die lange Abfahrt begann. Es war ein super Gefühl am höchsten Punkt zu stehen und zu wissen, dass man jetzt nur noch nach unten Rollen muss. Insbesondere wenn man „nicht“ den halben Berg geschoben hat. Ha!
Aufgrund der Strapazen gönnte ich mir wieder ein Hotel zum halben Preis wie die Abzocker in der Nacht zuvor. Umgerechnet 5€ waren das. Die Nächte in den Hotels waren schrecklich. Irgendwie scheinen in den normalen Hotels in Südamerika 24/7 Menschen ein und aus zu gehen, was ich mega anstrengend finde. Ständig gerede, mitten in der Nacht klingelt es, Leute kommen rein, gehen raus und die Fernseher dröhnen immer auf voller Lautstärke. Fernseher sind sowieso der Erzfeind. Läuft nur Grütze und die Dinger sind immer laut. Aber es gab Internet. So konnte ich meine Route checken und musste erfahren, dass am nächsten Tag noch 2 heftige Berge vor mir lagen und ich noch lange nicht durch die Cortilllera hindurch bin.
Wie sich Regenwald anfühlt
Denkste, ha. War aber nicht so. Die Internetseite welche ich benutzte war etwas fehlerhaft. Am nächsten Tag ging es zwar hügelig weiter, aber den letzten Berg hatte ich am Tag zuvor erklommen. Was nun mein stetiger Begleiter sein sollte war der Regen. Und es heißt anscheinend nicht umsonst Regenwald. Es war kein richtiger Regen, aber Nieselregen. Unablässiger Nieselregen. Fortan sollte ich ständig nass sein. Nicht nass genug um meinen Rucksack zu durchfeuchten, aber so, dass ich während den Trinkpausen gedampft habe. Ansonsten war es ein recht gemütlicher Tag, der sein Ende am frühen Abend fand, als ich mich einer Gewitterfront gegenüber sah, in die ich direkt hineinfahren musste.
Ich entschied mich an einem Restaurant Abend zu essen und anschließend mein Zelt aufzubauen. Glücklicherweise war ein kleiner Holzverschlag mit Dach in der Nähe. Es sollte die ganze Nacht Gewittern und Regnen und dieser Schutz war sehr willkommen. Am nächsten Tag ging es nur noch 100km nach Turbo. Größtenteils flach. Keine Steigungen. Wunderbar. Hat mir riesigen Spaß gemacht da durchzuheizen. Auch wenn es ebenfalls die ganze Zeit geregnet hat. Die ersten 40km machte ich in etwas mehr als zwei Stunden. Frühstückspause. Das Schicksal wollte es, dass ich in einem Restaurant landete, wo gerade Tour de France lief und ich die letzten 40km einer Bergetappe anschauen konnte. Passend. Die fuhren ungefähr doppelt so schnell wie ich und das in den Pyrenäen mit ekelhaft steilen Anstiegen und mörderischen Abfahrten. Nachdem der Sieger feststand, setzte ich mich wieder aufs Rad.
Es hätte ein versöhnlicher Abschluss werden können, auf meinen letzten Kilometern nach Turbo, aber irgendwie sollte das wohl zu einfach sein. Ca. 25km vor Turbo gesellte sich eine Reihe von Großbaustellen zu dem Regen und was folgte, war Matsch. Viel Matsch. Und Lkw´s die an mir vorbei brausten und nur so mit Matsch und Wassermatsch um sich schmissen. Ich und mein Fahrrad bekamen eine ordentliche Schlammpackung verabreicht. Danke Kolumbien. Immer wieder eine Freude.
Ich habe es aber trotzdem geschafft. Was danach kam, wisst ihr ja vielleicht schon. Fahrrad putzen, Fahrrad verkaufen. Mein Kolumbien Fahrrad-Dress gegen meinen ersten Bootslift tauschen. Und dann ab Richtung Panama. Fahrrad fahren ist auf jedenfall erstmal nicht mehr angedacht. Und wenn ich so eine Tour nochmal machen sollte, dann auf jedenfall mit einem stabileren Fahrrad, mehr Equipment und leichteren Gängen. Und ich würde eher entspannt an einem Fluß entlang fahren, anstatt mich durch die kolumbianischen Gebirge zu quälen. War eine wirkliche Schinderei, aber trotzdem geil! Geschafft. Haken dran. Und wie wir in Hessen zu sagen pflegen: Mund abbutze, weidermache.
auahauaha. Warum einfach, wenn es auch schwierig geht. Lese mich durch deine Berichte und erinnere mich an meine zeitgleich Höhenmeterlose Radtour von Passau nach Budapest. Da hätte ich auch nen Malta an der einen oder anderen Stelle gebrauchen können. Mensch lernt Wasser in solchen Situationen erst richtig zu schätzen.
Was für ein Tanz, Du und Kolumbien.
Ich dachte auch, das schaff ich doch mit links! Hahaha! 🙂
Hahahahaha ich danke dir so sehr, du hast mir gerade wirklich meinen Abend versüßt mit deiner Tour de Colombie. Ähnlich wie du, habe auch ich mich mit nur wenig Hintergrundinformationen in ein Abenteuer gestürzt, dabei handelte es sich aber nicht um eine Fahrradtour, sondern um einen 3000km langen through-hike in Neuseeland. Bei dir war es das Schrottfahrrad, bei mir waren es die zu kleinen Wanderschuhe, die mir das Leben echt schwer gemacht haben. Nach 1000km hat es mir dann gereicht…Naja wie auch immer, ich hab mich manchmal echt genau so gefühlt, wie du es hier beschrieben hast! Danke dafür
Und wir bereuen nichts, nehme ich an. 🙂