Einmal eine längere Radtour machen. Das war schon länger eine Idee. Fahrradreisende haben neben Langstreckenwanderern und Trampern einen respektablen Status in meiner bewertenden Hirnhälfte. Eigentlich wollte ich Mexico mit dem Fahrrad durchqueren, hatte das dann wieder gestrichen und Victor meinte schließlich, dass Kolumbien ja ein so tolles Fahrradreiseland sein soll. Dann eben hier. Habe mir für 75€ ein passables aber gut aussehendes Schrottrad gekauft, nochmal 100€ reingesteckt, ein Do-it-Yourself Fahrradtaschensystem konstruiert und dann konnte es auch schon fast losgehen. Fast.
Erstes Problem war allerdings die Route. Irgendwie hab ich im ganzen Fahrradbauwahn total vergessen mir vor dem Beginn meiner Reise eine Fahrradkarte zu kaufen und mal eine anständige Route auszutüfteln. Im Internet gibt es diverse Tools, bikemaps.com, openstreetmaps.com oder andere Programme die speziell für das Fahrradreisen angelegt sind. Insbesondere für die Höhenmeter-Unterschiede ist eine ordentliche Routenplanung sinnvoll. Ich hab versucht damit etwas zu planen, aber es hat nicht geklappt. Also druff geschissen und einfach los. Bei google maps noch angeschaut, wie ich aus Bogota rauskomme, die ersten 6 Orte notiert, welche zu durchqueren waren, aufs Fahrrad gesetzt und dann war ich auf einmal ein Fahrradreisender.
Diese katastrophale Planung hat mich dann den ersten Tag gekostet. Nicht nur die Tatsache, dass ich ohne Straßenkarte los bin sondern auch, dass ich auf meinem Weg durch Bogota versucht habe eine Karte zu kaufen, waren keine guten Entscheidungen. Diese Karte hatte ich zwar irgendwann gefunden, aber gleichzeitig meine Orientierung verloren. Nach gefühlten 30 Minuten Diskussion an einem Polizeiposten hatte ich wieder die grobe Richtung und konnte mich über die Zubringer aus der Stadt radeln. Es war schon Dämmerung, als ich die Stadtgrenze erreicht habe. Schlafplatzsuche. Mit Fahrrad ist man zwar beweglicher, jedoch kann ich nicht mal eben über einen Zaun klettern. Mehr Bewegung, weniger flexibel. Zu Fuß ist das einfacher Abends. Ich hatte irgendwann einen Platz auf einem Erdhügel direkt neben der Straße gefunden. Da ich kein Fahrradschloß habe, brauchte ich einen geschützten Platz, damit niemand meinen roten Renner klaut.
Das Auf und Ab einer Reise
Die Nacht war kalt. Ich war immernoch über 2000 Höhenmetern. Es regnete. Der Morgen begrüßte mich mit dicken schwarzen Wolken. Mein zweiter Tag Fahrradfahren brach an. Was ich natürlich nicht wusste: Vor mir lag ein 3km langer Anstieg. Erstmal klettern. Ohne Frühstück. Ich ahnte ja nicht, dass es hoch geht und bin daher ganz normal losgeradelt. Zwischendrin musste ich absteigen. An mir vorbei zogen einige Sportradler. Die hatten alle kein Gepäck. Ich wünschte auch so leicht unterwegs sein zu können. Auf der „Berg“spitze befand sich ein kleines Restaurant und ich gönnte mir ein paar Spiegeleier, Schokokuchen und Kaffee. Danach Abfahrt.
Und Abfahrt. Und Abfahrt. Und Abfahrt. Insgesamt 40 km Abfahrt! Das hörte gar nicht mehr auf bergab zu gehen. Ich rollte Richtung Mittelpunkt der Erde. Erfreut war ich nicht gerade, weil alles was runter geht, muss auch irgendwann wieder hoch gehen. Auf dem Weg von Bogota nach Medellin mussten zwei Gebirgskämme überquert werden. Vom Einen runter und auf den Anderen rauf. Diese Abfahrt war allerdings nicht die „vom einen Gebirgskamm runter“-Tour, sondern eher die „Zwischendrin runter, weils so schön ist“-Abfahrt mit dem anschließenden „Marco Pantani- Gedenk“-Anstieg.
Was für ein Gelumpe hier….
Auf der Abfahrt hatte ich auch die ersten Materialprobleme. Das sollte nur der Beginn einer langen Reihe von Problemen werden. Mein Gepäckträger ächzte unter den 20kg Gewicht und lockerte sich. Es war klar, dass ich die nächste Fahrradwerkstatt anfahren muss. Daneben wurden meine Felgen recht heiß. Ziemlich heiß sogar. Aber ich musste ja bremsen. Also zwischen drin immer wieder Pause machen, abkühlen lassen und weiter fahren. Das Erste mal in meinem Leben habe ich wirklich verstanden, wozu Scheibenbremsen eigentlich gut sind.
Fahrradwerkstatt hab ich irgendwann gefunden. Für 2€ Gepäckträger besser fixiert, Luft aufgepumpt und eine Beule aus dem Vorderreifen entfernt. Ich hatte nämlich diese Beulen in den Reifen. Unförmigkeiten, mag man sie auch nennen. Ich kam mir vor, als würde ich auf Eiern fahren. Mein Lenker fühlte sich auf der Abfahrt an wie ein sedierter Presslufthammer. Das Problem Vorderreifen konnten wir lösen. Hinterreifen hatte denselben Defekt, war zu vernachlässigen. Weiter in der Abfahrt.
Der Spaß war irgendwann zuende. Das Profil änderte sich und was sich vorher locker leicht nach untern rollte, führte jetzt abartig steil nach oben. Irgendwann war auch mein Akku leer und ich fing wieder an zu schieben….für ungefähr 4 Stunden. Ich hab mir das später bei Google angeschaut und der Anstieg ging ca. 20 km weit und überwand 1000 Höhenmeter. Der absolute Hass und mit meinem Fahrrad unmöglich zu bewältigen. Vielleicht war ich auch einfach nur ein Lappen und zu schwach. Aber da war mir schon klar, dass ich hier mitten in den Bergen unterwegs bin. Mit lockerer Radtour in Kolumbien würde es also nichts werden.
Danach wieder Abfahrt. Es ging eben die ganze Zeit hoch und runter. Nach 15km angenehmen Rollens wurde es langsam dunkel und ich musste mir den nächsten Schlafplatz suchen. Ich hatte eine gute Wiese erspäht und irgendwelche Leute gefragt, ob ich da schlafen kann. Die wussten nicht wo der Besitzer ist, haben aber gesagt das geht wohl klar. So einfach kann das sein. Da entscheidet der Nachbar mal schnell über euer Grundstück. Mit meinen letzten 3 € hab ich dann noch etwas Süßes, O-Saft und 2 Liter Leitungswasser erstanden und mich in die Nachtruhe begeben.
LKW´s sind auch nur Terroristen
Das war wahrscheinlich meine schlimmste Nacht der ganzen Reise. Mein Zelt war drei Meter neben der Hauptverkehrstrasse zwischen Medellin und Bogota an einer Abfahrt. Die LKW´s brummten 24/7 an mit vorbei. Der Boden vibrierte, Motobremsen dröhnten zu mir herüber. Besonders die älteren Lastwagen bringen es bisweilen auf die Lautstärke eines startenden Flugzeuges. Das hat mich die ganze Nacht auf trapp gehalten. Irgendwann hab ich mir Klopapier in die Ohren gefriemelt, aber auch das hat nur mäßig geholfen. Eigentlich bin ich mittlerweile nicht mehr so anspruchsvoll, was den Schlafplatz und die Lautstärke angeht. Aber es ist eben ein Unterschied, ob nebenan das Helene Fischer Konzert nervt oder du mitten im Mosh Pit liegst.
Hinzu kam noch eine andere sonderbare Entdeckung. Obwohl ich fast 10 Stunden auf dem Fahrrad saß, war ich alles andere als müde und erschöpft. Mein ganzer Körper glühte vom heftigen Blutaustausch zwischen Herz und Muskeln. Die Pumpe funktionierte also. Aber entspannen konnte ich mich nicht. Ich kenne das von zu Hause, wenn ich meinem montäglichen Rückensport nachgegangen bin. Da war ich auch regelmäßig aufgedreht. Also kann es nur ein gutes Zeichen sein.
Tag 3, bricht an. Ich beendete die letzten 5 km Abfahrt und fand mich in einem sonnigen Kolonialstädtchen namens Guaduas wieder. Es lag Urlaub in der Luft, die Sonne scheinte fröhlich und die Umgebung nötigte zu frisch gepresstem Orangensaft oder kühlen Bier. Reis mit Rindfleisch und Kaffee. Ich nannte es Frühstück. Mein Entspannungs-Ich nutzte die Gelegenheit um 30 Minuten Pause herauszuschlagen, ehe Ambition und Nervosität die allgemeine Runde zur Weiterfahrt überzeugen konnten. Eine Cola gönnte ich mir trotzdem noch. Die Sonne brannte sehr heiß an diesem Morgen.
Ich hatte zwei Optionen und nutzte die lokale Intelligenz, um die fehlende Fahrradkarte auszugleichen. Letztendlich entschied ich mich für die Straße mit weniger Steigung. Es lag eine lange Abfahrt und zwei mittlere Hügelchen vor mir. Am Ortsausgang wartete allerdings erstmal eine kurze aber heftige Arschlochsteigung auf mich. Es war mitlerweile 11 Uhr. Die Sonne zeigte sich von ihrer besten Seite. Ich schwitzte mit maximalem Flüssigkeitsausstoß und zwischendrin wurde mir so heiß, dass ich schon wieder anfing zu frieren. „Wie Saune Stefan, wie Sauna“, versuchte ich mich selbst, aus Verwunderung über die körperliche Reaktion, zu beruhigen. Es war so unglaublich heiß. Danach ging es glücklicherweise runter.
Ich war immer vorsichtig beim Abfahren, weil ich meinem Fahrrad keine 3 Meter über den Weg traute. Ich war auf alles gefasst. Reifen platzen, Gepäckträger Löslösung mit anschließender Zerberstung der Hinterradspeichen, Rahmenbruch oder auch dem klassischen Unfall mit tödlicher Kopfverletzung. So bremste ich also fleißig auf der Abfahrt. Ich überlegte ob ich meine Felgen mal kontrollieren sollte. Aber das sollte schon passen, gestern ging es schließlich viel weiter nach unten. Tja. Irgendwann tut es einen Schlag und mein Hinterreifen verabschiedete sich. Zu meiner großen Überraschung blieb das Rad allerdings stabil und ich konnte auf der Felge abbremsen. Kein Unfall, nochmal Glück gehabt. Meine Tour ward hier erstmal beendet. Dabei hatte der Tag so vielversprechend begonnen. Und so stand ich nun mitten im Nirgendwo, mit geplatztem Reifen, Flickzeug, aber ohne Luftpumpe. Also erstmal wieder Trampen…..