Trampen in… (17) Deutschland

Trampen in Deutschland
Trampen in Deutschland

Es ist eigentlich längst überfällig, dass ich diesen Artikel schreibe. Deutschland ist für mich nicht nur Homebase, sondern auch das am besten zu trampende Land der Welt! Mein all-time Favorite. Eine der am besten organisiertesten Trampszenen, Straßen ohne Tempolimits, Menschen die Raststätten ansteuern, weil sie nach Trampern „suchen“, Creme de la Creme der Automobilindustrie und ansich gastfreundliche Menschen, sind nur einige Gründe, weshalb ich Deutschland zum Trampen gar nicht hoch genug loben kann. Dies ist ein „Trampen in…“-Spezial. Ohne Statistiken, dafür aber mit einer Menge guter Gründe, weshalb ihr in Deutschland trampen solltet!




Menschen

Der Deutsche ansich…..ist eigentlich ganz dufte. Eigentlich. Wir sind Kapitalisten der übelsten Sorte und kommen wohl in dem, was Menschen im Ausland über uns denken, noch viel zu gut weg. Ja, wir haben alle einen Stock im Arsch, der Deutsche neigt zu einer gewissen Inflexibilität, wenn es um Regeln und Gesetze geht. Organisation ist ganz wichtig. Das gibt Sicherheit. Wir mögen es genau und müssen immer alles kritisieren/optimieren. Alles was von der Norm abweicht, wird erstmal kritisch beäugt und ggf. reglementiert. Versteht das. Verwirrung mindert die Effizienz.

Neben dem technokratischen Spießertum ist der Deutsche ansich aber auch recht interessiert und aufgeschlossen. Und am Wichtigsten: In Deutschland herrscht relativ wenig Angst. Trampen ist nicht schwierig in Deutschland. Die Leute sind gerne bereit euch einen Lift zu geben. Ich bin durch weit mehr als 50 Länder in meinem Leben getrampt und kann sicher sagen, dass nach Kolumbien, USA, Brasilien und Co. der Deutsche doch recht aufgeschlossen und warmherzig wirkt.

Trampen genießt einen recht guten Ruf in Deutschland, was nicht zuletzt durch jahrelange Bestrebungen diverser Clubs zustande gekommen ist. Es mag hier lobenswert angemerkt sein, dass vom BKA 1989 eine wissenschaftliche Untersuchung zum Thema durchgeführt wurde [Trampen FIEDLER, Joachim, et. al., 1989; Anhalterwesen und Anhaltergefahren: unter besonderer Berücksichtigung des “Kurztrampens”, BKA-Forschungsreihe Sonderband, Bundeskriminalamt Wiesbaden.]. Eine von zwei Untersuchungen die weltweit zu diesem Thema verfasst wurden. Außerdem gibt es noch zwei Koryphäen der Tramperfreundlichkeit. Das ist Dieter Wesch, der selbst ernannte „Engel der Anhalter“, welcher mit mehr als 9528 aufgesammelten Trampern sicherlich den Guinness Buch Weltrekord im Mitnehmen hätte, wenn dieser denn existieren würde. Und dann natürlich noch „Tramperpapst“ Dieter Höft aus dem schönen Norden, der seine Pforten immer für Tramper offen hat und sogar zur Auffahrt kommen würde, um euch aufzusammeln und auf ein Bier und kostenlosen Schlafplatz zu sich nach Hause zu holen.

So gute Seelen! Wer kann nun behaupten, die Deutschen wären Tramperunfreundlich?

Die Szene

Ich bin leider erst seit ca. 10 Jahren dabei und kann die wirklichen Anfänge nur erahnen. Ich komme wohl aus einer Generation Tramper, die auftauchte, als der Laden schon brummte, aber nicht zu den wirklichen Pionieren zählte. Aber das ist okay. Wichtig ist eines hier: Deutschland hat mit Rußland und Polen die vielleicht am besten organisierteste Trampszene der Welt.

Abgefahren e.V., ein Verein der sich auf die Fahnen geschrieben hat, Trampen wieder salonfähig zu machen und von dem Hippie-Mief zu befreien. Abgefahren hat jahrelang eine gute Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit gemacht und definitiv angefangen mit stetem Tropfen den Stein auszuhöhlen. Abgefahren veranstaltet jedes Jahr zu Pfingsten die Deutsche Meisterschaft im Mittelstreckentrampen. Die ganzen Alttramper haben sich zwar teilweise überall auf der Welt niedergelassen und sind in ihrere Tramperrente. Unser aller liebes Hitchwiki liegt auf demselben Server wie Abgefahren und hat nicht umsonst die zweitmeisten Artikel auf Deutsch. Das kommt, weil da jahrelang die Alte Garde mitgemischt hat. Danke Jungs! Großartige Arbeit.

Daneben gibt es mit den Jungs von Tramprennen.org eines der größten Tramprennen in Europa, welches vom eigens hierfür gegründeten Verein Club of Roam organisiert wird. Jeden Sommer für mehrere Wochen durch Europa knallen, mit einem Haufen anderer Verrückter. Ein Riesenspaß, ich selbst habe leider nie teilgenommen bisher. Was sich da über die Jahre entwickelt hat, ist wohl eines der aktivsten und größten Trampprojekte überhaupt. Getrampt wird für einen guten Zweck, um Viva con Agua und Pro Asyl e.V. zu unterstützen. Sehr einsteigerfreundlich und scheint mir eine wirklich herzliche Community zu sein. Tramprennen.org hat auch ein komplett anderes Einzugsfeld als Abgefahren, was sehr erstaunlich ist, da sich normalerweise jeder irgendwie über zwei Ecken kennt unter den europäischen Trampern.

Zielfoto von Tramprennen.org eines der größten Tramprennen auf der Welt.
Zielfoto vom Tramprennen 2015, eines der größten Tramprennen auf der Welt.

Tja und dann gibt es noch uns, die Sporttramper. Streng nach dem Motto: „Die Hells Angels werden ja auch nicht Mitglied im ADAC“, haben wir (Ralf, langjähriger Schatzmeister bei Abgefahren und ich) einen Verein gegründet, der die russische Tradition des Sporttrampens in Deutschland und Westeuropa kultivieren möchte. Bei unseren Wettkämpfen sind die Routen technisch anspruchsvoll und neben dem Trampen geht es auch um Orientierung und Erkundung unbekannter Gebiete. Wir nehmen uns für gewöhnlich eine bestimmte Ecke von Deutschland, wo es besonders schön ist (wie das Frankenland, Odenwald, die Rhön) und gehen dann für 2-3 Tage auf Erkundungstour mit unserem Daumen. Unsere Zielgruppe sind Abenteurer und Outdoormenschen. Wer es eher „gemütlich“ angehen lässt, dem sind unsere Rennen vielleicht zuviel. Ich kann es aber nur empfehlen. Sporttrampen fetzt!

Qualifikationsrunde zur Weltmeisterschaft im Sporttrampen. Russische Trampe und ein Team der DTSGr bei der Planung ihrer Rennrouten.
Qualifikationsrunde zur Weltmeisterschaft im Sporttrampen. Russische Tramper und ein Team der DTSG bei der Planung ihrer Rennrouten.

Straßen

Die Autobahn. Mal abgesehen davon, dass ich aus rein ästhetischen Gesichtspunkten die amerikanischen Highways für die wohlgeformtesten Straßen dieser Welt halte, gibt es doch nichts besseres als das Deutsche Autobahnnetz, um sich fort zu bewegen. Besonders zum Trampen. Deutschland hat kein allgemeines Tempolimit, sondern eine „Richtgeschwindigkeit“ von 130km/h. Es gibt einige wenige Straßen auf der Welt ohne generelles Tempolimit. Die Situation hier ist aber sicherlich speziell, da Straßen auch zum schnell fahren geeignet sein. Das sind sie in Deutschland auf jedenfall. Was hilft es, wenn ihr in Afghanistan, Island oder Buthan unterwegs seid und euch freut auf der Schotterpiste so schnell wie möglich den nächsten Bergpass hochfahren zu dürfen? Mit 250 km/h seinem Ziel entgegen. Das gibt’s nur hier.

Es muss gesagt sein, dass die Autobahn nicht ideal zum Trampen ist. In Rußland, Argentinien oder Kanada kann man sich überall an die Straße stellen. Auf der Autobahn, wie auch auf den Auffahrten, ist der Verkehr oft sehr schnell unterwegs und es kann schwierig bis unmöglich sein, hier einen Lift abzufangen. Die Russen nennen die Autobahn nur: „The Tube“ – die Röhre. Weil man einmal reinkommt und dann einfach durchgedrückt wird. Und natürlich ist es vollkommen verboten auf der Autobahn zu stehen und den Daumen raus zu halten. Die Polizei braucht für gewöhnlich 5 Minuten zum eintreffen und gibt immer gerne Lifts, die ihr natürlich nicht abschlagen dürft.

Neben der Autobahn gibt es Bundesstraßen die mit einem generellen Tempolimit von 100 km/h manchmal etwas herausfordernd sein können, da der Verkehr doch recht schnell unterwegs ist. Insbesondere auf Abschnitten die gut ausgebaut sind und eher einer Autobahn ähneln. Und es gibt auch noch etwas dazwischen, das nennt sich „Kraftfahrstraße“. Das Problem ist: Hier darf man genauso wenig Trampen, wie auf Autobahnen. Ich hab es immer so gehandhabt: Wenn ich keinen Bock auf laufen habe, trotzdem positionieren, dann auf die Polizei warten, dumm stellen, freundlich sein und einen Lift zu einer Tanke oder ähnliches kriegen. Die Polizei ist immer gut für einen Lift. Seid zu ihnen genauso freundlich, wie zu euren anderen Fahrern.

Abgehen. Tramprennen in Polen!
Abgehen. Tramprennen in Polen! Foto: Jessica Zumpfe

Geile Straßen, geile Autos. Leider geil. BMW, Audi, VW, Porsche und Mercedes machen alle schöne Autos und sitzen in Deutschland. Ja, Opel ist auch dabei, aber sieht halt scheiße aus. Wenn ich in Deutschland unterwegs bin, hab ich eine bevorzugte Zielgruppe beim Trampen: Berufspendler. Weil die einfach die heißesten Karren und immer das neueste Modell haben. Mit 250 km/h seinem Ziel entgegen. Ich hab schon ne Menge abgefahrener High-End Technik von meinen Fahrern gezeigt bekommen. Immer wieder spannend und auf jedenfall charakteristisch, wenn man in Deutschland trampt.

Was man auch noch erwähnen sollte, dass Deutschland Transitland für die polnische Transport(er)industrie ist, was unglaublich praktisch ist, wenn man sich durch Europa bewegt. Will man transnationale Routen trampen, sind Polen immer erste Wahl. Und wenn man nach Deutschland zurück will, auch. Die fahren oft Nachts mir ihren Transportern und sind schneller unterwegs als LKW’s. Ich würde das noch als Standortvorteil von Deutschland zählen.




Taktik

Bewegung in Deutschland. Es gibt verschiedene Wege. Ich kenne Menschen die prinzipiell von Auffahrt zu Auffahrt trampen und damit gute Erfahrungen machen. Auffahrten haben meistens eine gute Haltefläche und die Leute halten einigermaßen schnell an.

Erreichung eines Kontrollpunktes beim Sporttrampen Rennen
Erreichung eines Kontrollpunktes beim Sporttrampen Rennen

Ich persönlich bevorzuge aber das gute, alte Raststätten-Hopping. Man bewegt sich von einer Raststätte zur nächsten und spricht Leute an der Tankstelle an. Über die Jahre habe ich meine Technik so verfeinert, dass ich mich ungefähr so schnell bewege, wie wenn ich selbst fahren würde (Wartezeit wird kompensiert durch Menschen die mit 200+km/h fahren). Ich kann meine Ansprachetechnik schlecht beschreiben. Das läuft alles nach Instinkt. Ich sehe mittlerweile, welche Menschen mich mitnehmen würden und welche nicht. Ich spreche auch nicht mehr jede Person an. Meist brauche ich 1-3 Versuche und dann sitze ich in einem Auto. Zuletzt habe ich mich sogar ans Ende der Raststätte gestellt, weil Fragen so einfach war und ich ein bißchen den Spaß am Trampen verloren hatte.

Natürlich braucht ihr hierzu ein bißchen Charme und müsst einigermaßen ordentlich Aussehen. Also kein Bier, keine zwei Expeditionsrucksäcke, kein Hunderudel und andere Dinge, die normale Menschen tendenziell verstören, auch wenn sie voll normal sind. Ansprechen hat viel mit Oberflächlichkeiten zu tun. Muss man leider so sagen. Aber wenn ihr vertrauenswürdig erscheinen könnt, dann ist das schon mal die halbe Miete.

Raststätte in Deutschland von oben.
Raststätte in Deutschland von oben. Quelle: Wikipedia

Deutschland hat ein bisweilen kompliziertes und sehr komplexes Autobahnnetz. Das ist sehr gut, weil man immer zwischen Wegen wählen kann. Aber das kann auch sehr verwirrend sein, wenn man sich nicht auskennt. Nehmt auch in jedem Fall eine gute Karte mit, auf der alle Raststätten eingezeichnet sind und studiert diese, wann immer es geht! Alternativ kann man sich auch hier ein .pdf mit allen Raststätten und Ausfahrten runterladen und mit seinem Smartphone kombinieren. Planung und Orientierung sind sehr wichtig, damit ihr nicht euren nächsten Checkpunkt verpasst. Ich kenne meine Standartrouten mittlerweile auswendig und weiß wo welche Auffahrt und wo welche Raststätte liegt. Trotzdem hab ich immer einen Straßenatlas dabei. Einfach ein Standartwerkzeug.

Was auch noch sehr hilfreich ist, sind die Autokennzeichen. In Deutschland kann man relativ genau erkennen, wo ein Auto registriert ist und dadurch meist Rückschlüsse ziehen, wohin sie fahren und woher sie kommen. Es gibt gewisse Gegenden, die zur Mitwagenregistrierung genutzt werden (Europcar hat HH (Hamburg), Avis – EU (Euskirchen), Sixt – M (München), Hertz DN-H (Düren)) und wenn ihr ein bayrisches Kennzeichen in Leipzig seht, dann könnt ihr meist sicher sein, dass dies ein Dienstwagen ist. Trotzdem sind Nummernschilder unglaublich wertvoll für die Orientierung. Ein guter Atlas hat ein Verzeichnis mit allen Nummernschildern angehängt. Mit der Zeit könnt ihr das meiste von alleine zuordnen. Man lernt auch immer wieder neue Landkreise kennen. Die ersten beiden Buchstaben sind für den Registrierungsort, daneben ist die TÜV-Plakette und (auch sehr hilfreich) ein kleines Emblem mit dem zugehörigen Bundesland. Also auch, wenn ihr nicht genau wisst, wo jemand hinfährt, könnt ihr zumindest das Bundesland erahnen. Wenn ihr die Wappen auseinanderhalten könnt. 🙂

Ansonsten gibt es eine Liste aller KFZ-Kennzeichen hier.

Und nochmal allgemeines zum Nummernschild hier.

Besonderheiten

Das billigste Essen an der Tanke mit dem besten Preis-Leistung-Verhältniss ist die gute, alte Bockwurst. Ich hätte nie gedacht, dass ich das mal sagen würde, aber nach 1,5 Jahren unterwegs im Ausland vermisse ich eine Bockwurst ab und an beim Trampen. Gehört zur Raststätte irgendwie dazu. In manchen Gegenden gibt es Rindswürstchen, die (insbesondere in Nordhessen) absolut empfehlenswert sind.

Alles an Raststätten ist teuer. Insbesondere das Wasser und das finde ich recht unverschämt. Es gibt aber Wasserhähne für Trucker, wo man sich kostenlos die Flasche auffüllen kann.

Toiletten sind manchmal auch kostenpflichtig, was ich ebenfalls unverschämt finde. Über die Sanifair Absperrungen kann man drüber klettern in einem unbeobachteten Moment. Es wird euch niemand beim scheißen von der Toilette ziehen. Außerdem gibt’s da gute Musik und die Notdurft verrichten sollte doch ein Menschenrecht sein.

9 Comments

  • Durch deine inspirierenden Artikel bin ich vor 2 Wochen das erste mal getrampt. Nötig hätte ich es nicht aber ich finde die Idee unglaublich faszinierend.
    Hab die ersten 100 km in Deutschland zurück gelegt und bin absolut positiv beeindruckt. Hab nie lange warten müssen, bis auf bei einer Tanke, wo ich erst durch ansprechen weiter gekommen bin.

    Das war ein erster Test und ab September werde ich noch viel mehr Erfahrungen sammeln, wenn ich für 5 Monate in Südamerika bin.

    Danke für deine tollen Artikel, mach weiter so. Freu mich schon auf die China Artikel 🙂

  • Sehr geiler Artikel, ich erlebe Deutschland auch als sehr tramperfreundlich 🙂

    An Raststätten Leute ansprechen klappt super (meistens) und Auffahrten gehen auch meist gut.
    Ich hasse allerdings die Auffahrten bei denen der Seitenstreifen nicht schon vor dem Autobahnschild beginnt. Die Deutschen sind halt schon sehr sicherheitsbewusst… 🙂

  • Hey, ich bin selbst eigentlich dauerhaft per Anhalter unterwegs und finde es super interessant mal die Erfahrungen von jemand anderen zu lesen. Wusste gar nicht, das es so eine große Community dazu gibt, dachte es wäre schön fast ausgestorben.. gutes vorankommen dir

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